Haus Buchthal in Berlin-Westend, 1922.

Aus: Moderne Villen und Landhäuser, hrsg. von H. de Fries, Berlin 1925

Vorreiter der Berliner Moderne

Die Buchthals sind mutig. Sie holen die Avantgarde ins Berliner Westend und lassen sich nichts weniger als ein „Manifest des Expressionismus“ als Familienwohnsitz und Haus für ihre moderne Kunst bauen. Es ist heute eines der wenigen Überbleibsel, die noch vom Leben des jüdischen Ehepaars in Berlin erzählen.

Erfolgreich in der Modemetropole Berlin

Der 1878 in Berlin geborene Kaufmann Eugen Moritz Buchthal ist ab 1908 Partner und später Mitinhaber einer Damenkonfektionsfabrik. Seeler-Herrmann-Damenmäntel- und Kleiderfabrik & Co (später Seeler & Cohn) am Gendarmenmarkt ist damals eines der führenden Geschäfte in der Modemetropole Berlin.

Hugo und Anne Gerda Buchthal, um 1917/18.

Privatbesitz

1909 heiratet Eugen Buchthal Therese (Thea) Wolff. Sie bekommen drei Kinder: Hugo (geboren 1909), Anne Gerda (geboren 1913) und Wolfgang Heinrich (geboren 1922).

Avantgardistische Bauherren

Die Familie lässt sich im vornehmen Berliner Westend nieder. Zunächst wohnen sie in einem Mehrfamilienhaus in der Bayernallee. 1922 beauftragen die Buchthals ein junges, aufstrebendes Architekturbüro mit dem Bau einer zweigeschossigen Villa in der nahegelegenen Lindenallee.

Die Architekten sind bis dahin durch außergewöhnliche Entwürfe aufgefallen, haben aber noch keine Bauten realisiert.

Ein expressionistischer Vorzeigeraum: Die kantigen Pfeiler des Musikzimmers stammen von dem Bildhauer Oswald Herzog.

Aus: Moderne Villen und Landhäuser, hrsg. von H. de Fries, Berlin 1925

Ein Ufo im Westend

Das fertige Haus Buchthal ist vom Grundriss über die Fassade bis zu den Möbeln ein Gesamtkunstwerk. In seiner radikal expressionistischen Gestalt wirkt es damals wie aus einer anderen Welt. Ein Architekturkritiker schreibt 1925, dass das Haus „seinen modernen Charakter ein wenig eilfertig betont. […] Äußere Ecklösung und Innenräume bleiben diskutabel.“

Das Haus Buchthal nach dem Umbau durch Ernst Ludwig Freud 1929. Schlichte Mauern und rechteckige Fenster prägen nun die Fassade.

RIBA Collections

Neue Sachlichkeit

Das Architekturjuwel ist aber für die fünfköpfige Familie Buchthal offenbar nicht wohnlich und groß genug. Nur wenige Jahre nach ihrem Einzug lassen sie das Haus 1929 im Stil der Neuen Sachlichkeit umbauen und beweisen damit erneut Gespür für die Kunstströmungen der Zeit.

Sammler der Moderne

Willy Jaeckel: Selbstbildnis, Öl auf Leinwand, 1919, ehemals Sammlung Buchthal.

Repro aus: Ausst.-Kat. Zweite Ausstellung Deutscher Nach-Impressionistischer Kunst aus Berliner Privatbesitz, Nationalgalerie 1928

Die Buchthals sind nicht nur avantgardistische Bauherren, sondern auch leidenschaftliche Sammler zeitgenössischer Kunst. Sie besitzen Druckgrafiken und Gemälde insbesondere von expressionistischen Künstlerinnen und Künstlern, darunter Ernst Ludwig Kirchner, Otto Müller, Max Pechstein, Paula Modersohn-Becker, Emil Nolde, Käthe Kollwitz, Lyonel Feininger, Franz Marc, Edvard Munch und anderen.

Die Sammlung Buchthal gehört zu den herausragendsten der 1930er Jahre in Berlin.

Ein „turbulenter Gast“ schafft Erinnerungen

Oft kaufen die Buchthals ihre Werke direkt bei den Künstlerinnen und Künstlern, mit denen sie auch engere Kontakte pflegen. In ihrem Haus empfangen sie Kulturschaffende wie Max Beckmann oder Arnold Schönberg.

Die Künstlerin Katerina (Käte) Wilczynski wird von den Buchthals unterstützt und wohnt eine Zeitlang bei ihnen. Sie hält das Familienleben in humorvoll beschrifteten Skizzen fest – sie gehören heute zu den wenigen Bildern, die von der Familie geblieben sind.

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Eugen Buchthal bestätigt am 29. Juni 1928 mit seiner Unterschrift die Rückgabe von mehreren Bildern. Darunter war auch Erich Heckels Gemälde „Schleuse“ (oder „Brücke“) von 1913, hier als SW-Foto aus den Akten der Nationalgalerie.

Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Für die Otto Müller Gedenk-Ausstellung im Kronprinzenpalais der Nationalgalerie stellten die Buchthals zwei Bilder als Leihgaben zur Verfügung, darunter ein Selbstporträt des Künstlers (zweites Bild von links). Thea Buchthal quittierte am 1. September 1931 die Rückgabe der Werke.

Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv

Leihgaben an die Nationalgalerie

Zwischen 1928 bis 1932 zeigt die Berliner Nationalgalerie immer wieder hochkarätige Werke aus der Sammlung Buchthal. Sie sind nicht nur in den Ausstellungskatalogen erwähnt. Auch in den damals entstandenen Schriftstücken finden sich Spuren der Kunstwerke und ihrer Leihgeber.

Verfolgt und vertrieben

Thea Buchthal in ihrer Eidesstattlichen Erklärung vom 15. Oktober 1956 (Entschädigungsakten, Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten, Abt. I Entschädigungsbehörde)

Als jüdische Familie werden die Buchthals ab 1933 von den Nationalsozialisten verfolgt. Eugens Gesundheit verschlechtert sich unter den anhaltenden Diskriminierungen, er erleidet 1937 einen Herzinfarkt.

Der älteste Sohn Hugo emigriert bereits 1934 nach London, wo er an der berühmten Warburg Library tätig ist. Anne Gerda verlässt Deutschland 1936, ebenfalls Richtung London. Auch Thea und Eugen bereiten ihre Emigration mit dem jüngsten Sohn vor.

Verkauf von Hab und Gut

Im Januar 1936 übergibt Eugen Buchthal eine große Zahl grafischer Werke aus seiner Sammlung der Galerie Nierendorf in Berlin. Mit dem Verkauf der Blätter geht die Sammlung als Ganzes unwiederbringlich verloren.

Im gleichen Jahr verkaufen die Buchthals auch ihre Villa im Westend. Der Käufer ist Dr. Bruno Bruhn, der Generaldirektor der Krupp AG. Bis zu ihrer Emigration 1938 dürfen die Buchthals noch im oberen Stockwerk wohnen.

Emigration

Am 11. März 1938, Eugen Buchthals 60. Geburtstag, emigrieren er und seine Frau Thea nach London. Wenige Monate später fordern die deutschen Behörden von ihnen hohe Summen als ‚Reichsfluchtsteuer‘ und ‚Judenvermögensabgabe‘.

Eugen Buchthal kann in London zunächst bei dem dortigen Vertreter seiner Berliner Firma arbeiten, allerdings mit äußerst schlechter Bezahlung. Später erzwingt man am deutschen Firmensitz seine Entlassung.

Eugen und Thea Buchthal überleben den Krieg in London. Eugen stirbt am 6. Oktober 1954, Thea folgt einige Jahre später.

Von ihrem alten Leben in Berlin bleibt nur wenig übrig. Der Verbleib der Kunstsammlung ist weitgehend unbekannt. Das Haus Buchthal ist heute ein Baudenkmal und erinnert an die Eheleute Buchthal, die mit ihrem fortschrittlichen Kunstsinn untrennbar mit der Berliner Moderne verbunden sind.

Restitution

Verzeichnis von Werken ‚entarteter Kunst‘, die 1937 in deutschen Museen beschlagnahmt wurden.

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Hier finden sich auch Kunstwerke aus der Sammlung Buchthal.

Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv 🔍 Über das Bild mit der Maus fahren, um zu vergrößern

Kunst der Buchthals in den Staatlichen Museen zu Berlin

Die Staatlichen Museen zu Berlin erwerben 1936 bei der Galerie Nierendorf sechzehn Blätter aus der Sammlung Buchthal. Ein Teil davon wird 1937 als ‚entartet‘ gebrandmarkt und von den nationalsozialistischen Behörden beschlagnahmt. Ihr weiterer Weg verliert sich damit.

Ernst Ludwig Kirchner: Fehmarnhäuser mit großem Baum, Druck, 1908. Restituiert 2017, zur Erinnerung an Eugen Buchthal erworben für das Kupferstichkabinett.

Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders. Public Domain Mark 1.0 🔍 Über das Bild mit der Maus fahren, um zu vergrößern

Restitution und Rückkauf

Neun Werke aus der Sammlung Buchthal verbleiben nach der Beschlagnahme im Berliner Kupferstichkabinett: Druckgrafiken von Erich Heckel, Wilhelm Lehmbruck, Paula Modersohn-Becker, Emil Nolde, Otto Müller und Ernst Ludwig Kirchner. 2017 restituiert die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, zu der das Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin gehört, die neun Werke an die Erben.

Eines der Blätter, die Radierung „Fehmarnhäuser mit großem Baum“ von Ernst Ludwig Kirchner, kann die Stiftung Preußischer Kulturbesitz für das Kupferstichkabinett kaufen.

Erich Heckel: Fränzi liegend, 1910. 2017 an die Erben nach Eugen Buchthal restituiert und für das Städel Museum wiedererworben.

bpk / Städel Museum © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Weitere Restitutionen

Auch das Städel Museum in Frankfurt am Main und die Stadt Köln geben in den Jahren 2017 und 2019 Druckgrafiken aus der Sammlung Buchthal an die Erben zurück. Der Farbholzschnitt „Fränzi liegend“ von Erich Heckel wird für das Städel wiedererworben.

In der Lost Art-Datenbank des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste sind unter dem Stichwort Eugen und Therese Buchthal noch Suchmeldungen für 141 Kunstwerke verzeichnet.

Beitrag des rbb über Thea und Eugen Buchthal

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