Idylle in Bayern
Schloss Hirschberg bei Weilheim 1912 und heute.
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Eine knappe Stunde von München entfernt kann man noch heute das Schloss Hirschberg am Haarsee bestaunen. Malerisch schön thront es seit 1909 in der idyllischen Natur. „Das Schloß ist ein Prachtbau und bildet eine Zierde der ganzen Gegend“ schwärmt das Weilheimer Tageblatt kurz nach der Fertigstellung. In seiner turbulenten Geschichte war es so manchem Adeligen ein willkommener Wohn- und Rückzugsort fernab dem Trubel der Stadt. So auch dem Kunstsammler und Mäzen James von Bleichröder.
Das Bankhaus Bleichröder
James von Bleichröder stammt aus Berlin, wo er 1859 als drittes Kind des Bankiers Gerson Bleichröder geboren wird. Sein Vater gehört zur Finanzelite Deutschlands.
Die Familie genießt ein hohes Ansehen, denn Gerson Bleichröder ist nicht nur extrem erfolgreicher Geschäftsmann, sondern auch der Bankier Otto von Bismarcks und Kaiser Wilhelms I. Für seine Verdienste wird Gerson Bleichröder 1872 als erster Jude in Preußen geadelt und darf sich fortan Gerson von Bleichröder nennen.
James von Bleichröder wächst in der elterlichen Residenz in Charlottenburg auf. Die von Bleichröders gelten als ‚assimilierte Juden‘, was heißt, dass sie sich bestmöglich an die Kultur der herrschenden preußischen Gesellschaft anpassen. Unter anderem bedeutet das für James den Beitritt in eines der Berliner Studentencorps. Von 1880-1886 studiert er Jura, was er mit der Promotion abschließt. Von seinem Vater wird er an die preußische High Society und bedeutende Künstler herangeführt. Als Gerson von Bleichröder 1893 stirbt, können die drei Söhne Georg, Hans und James von ihren ererbten Anteilen ein luxuriöses Leben führen. Die eigentlichen Bankgeschäfte leitet ein Großcousin weiter.
James heiratet 1888 Harriet Alexander. Mit ihr hat er fünf Kinder, Curt, Edgar, Ellie, Harriet und Victor. Das Verhältnis der Eheleute ist jedoch angespannt. 1902 lässt das Paar sich scheiden.
Kunst, Kultur und schnelle Autos
Ohne wirtschaftliche Sorgen pflegt James eine Vielzahl an Freizeitbeschäftigungen. Seine große Leidenschaft ist das Autofahren. Sogar an Wagenrennen nimmt er teil. Dem Kaiserlichen Automobilclub (KAC) stiftet er 1902 das Palais Bleichröder als Clubhaus.
Wie auch Gerson von Bleichröder spendet er regelmäßig für medizinische Forschung und Krankenhäuser. Er setzt die Tradition seines Vaters fort, sich für den Berliner Zoologischen Garten einzusetzen. So schenkt er 1910 dem Zoo ein Nilpferd.
Und er setzt die Tradition des Kunstsammelns fort. Seine Sammlung umfasst Gemälde und Skizzen berühmter Künstler wie Adolph von Menzel, umfasst Wandteppiche, edle Möbel und, Meißener Porzellan. Auch ethnographische Stücke wie Ägyptische Skulpturen zählen dazu. Die Kunstbegeisterung gibt er an seinen Sohn Edgar weiter: dieser wird Maler von Beruf.
Die Assimilierung bringt auch die konservativ-nationalistische Einstellung der von Bleichröders mit sich. James geht zum preußischen Militär. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, meldet er sich als aktiver Teilnehmer. Auch seine Söhne Curt, Edgar und Victor ziehen in den Krieg. Victor fällt 1915 an der Front.
1918 wird James noch einmal Vater. Mit seiner dritten Frau Maria hat er den Sohn Wolfgang. Zusammen ziehen sie 1923 auf das Schloss Hirschberg, unweit von München. Dorthin nimmt James auch einen Großteil seiner Kunstsammlung mit.
erwirbt er das Gemälde „Auferweckung des Lazarus“.
Reisen ist schön
James und Maria von Bleichröder reisen gerne. Davon zeugen die zahlreichen Postkarten und Fotografien, die sie ihrem Sohn schicken. So auch die Karte aus Nizza, die das Ehepaar mit einem Bekannten an der Strandpromenade flanierend zeigt.
Halb- und Volljuden: Der Rassenwahn der Nationalsozialisten
Das Jahr 1933 ist auch für die Familie Bleichröder eine Zäsur. Obwohl sich James bereits als junger Mann christlich taufen ließ, gelten er und seine Kinder aus erster Ehe den Nationalsozialisten als jüdisch, Wolfgang gilt als ‚Halbjude‘. Edgar wird deshalb aus der Reichskammer der bildenden Künste ausgeschlossen und kann seinem Beruf als Kunstmaler nicht mehr nachgehen. Als Folge der Nürnberger Gesetze wird das Bankhaus Bleichröder 1937 arisiert und schließlich liquidiert.
James stirbt 1937 im Alter von 77 Jahren. Nach seinem Tod wird seine Kunstsammlung in Berlin versteigert. Der Münchner Kunsthändler Julius Böhler erwirbt hier die ‚Auferweckung des Lazarus‘.
Ein sehr prominenter Kunde kauft das Gemälde bei Böhler für seine Privatsammlung: Generalfeldmarschall Hermann Göring. Er zahlt dafür die stattliche Summe von 8000 Reichsmark.
Hermann Göring ist neben Adolf Hitler wohl der größte Kunstsammler der nationalsozialistischen Führungselite. Dabei nutzt er die Kunstwerke, um sich als besonders kultiviert darzustellen. Ebenso nutzt er umgekehrt seine Stellung als Ministerpräsident und Generalfeldmarschall, um zu zeigen, welche Kunst als besonders wertvoll und „deutsch“ galt. Häufig kauft er Kunstgegenstände, die durch Enteignung, Verfolgung oder Ermordung ihrer rechtmäßigen Eigentümer:innen auf den Markt kommen.
Zu Beginn der 40er Jahre wird die Verfolgung der Familie immer härter. Curt und Edgar, den Söhnen aus erster Ehe gelingt es 1942 in die Schweiz zu emigrieren. Ihre Schwestern Ellie und Harriet werden im selben Jahr gefangen genommen. Ellie wird in Theresienstadt interniert. In dem Propagandafilm „Theresienstadt“ ist sie in einer kurzen Sequenz zu sehen, wie sie einem wissenschaftlichen Vortrag lauscht. Dort wird sie im Mai 1945 von der Roten Armee befreit. Harriet wird nach Riga deportiert und dort ermordet. Wolfgang von Bleichröder soll als „Mischling“ zur Zwangsarbeit eingezogen werden, entzieht sich aber durch eine selbstzugeführte Gelbsucht und emigriert später in die USA.
1945 lässt Hermann Göring aus Angst vor der näher rückenden Roten Armee Teile seiner Kunstsammlung aus seiner Residenz Carinhall nach Berchtesgaden bringen. Dort werden sie im Frühjahr 1945 von den amerikanischen Streitkräften entdeckt und in den Central Collecting Point nach München gebracht.
Weitere Wege des Gemäldes
Dabei ist auch das Gemälde „Auferweckung des Lazarus“. Es geht als „Überweisung aus Staatsbesitz“ 1961 in den Besitz der Bayerischen Staatsgemäldesammlung über.
Ein Hinweis auf die Sammlung Göring ist für Provenienzforscher:innen ein Indiz, dass es sich bei dem vorliegenden Gegenstand um Raubgut handeln könnte – zumal man zu dem Zeitpunkt nicht weiß, ob die Witwe Maria von Bleichröder den Erlös aus der Versteigerung erhalten hatte oder nicht. Daher stellen die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen 2004 das Gemälde auf der Datenbank Lost Art ein. Daraufhin melden sich die Erbberechtigten.
Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen kommen 2017 mit den Erb:innen James von Bleichröders in München und San Diego überein, dass das Gemälde restituiert wird, aber von den Bayrischen Staatsgemäldesammlungen zurückkauft werden kann.
Die „Auferweckung des Lazarus“ ist noch immer im Schloss Johannisburg in Aschaffenburg zu sehen. Auf die Herkunft des Bildes und die erfolgte Restitution wird heute mit einer Schrifttafel hingewiesen.