Die Sammlerfamilie Behrens

Das Rathaus in Hamburg um die Jahrhundertwende.

Bildarchiv Hamburg, www.hamburg-bildarchiv.de

George Behrens wird 1881 in Hamburg geboren und wächst von Kunst umgeben auf. Sein Großvater, Eduard Ludwig Behrens, ein erfolgreicher Hamburger Bankier, hat mit dem Sammeln begonnen. Seine Leidenschaft gilt der französischen Kunst, vor allem der damals noch unbekannten Künstlergruppe der Schule von Barbizon. Die kehrt der akademischen Maltradition den Rücken, malt unter freiem Himmel und bereitet damit den Weg für den Impressionismus. Gemälde von Delacroix, Corot und Daubigny befinden sich in der Hamburger Sammlung, zeitgenössische französische Künstler, die Eduard Ludwig Behrens mit Geschmack und Weitsicht ankauft.

Sein plötzlicher Tod 1895 ist ein Schock für die Hamburger Kunstwelt, denn Behrens war nicht nur Sammler, sondern förderte das Kunstleben seiner Heimatstadt. Der Kunstverein verkündet: „Da erfüllte uns alle die schmerzliche Empfindung, daß das Kunstleben Hamburgs einen großen, vielleicht auch lange Zeit hinaus unersetzlichen Verlust erlitten habe.“

Schwarzweißfotografie eines gemalten Porträts von Eduard Ludwig Behrens.
Franz von Lenbach, Eduard Ludwig Behrens (1895).

Aus: Emil Heilbut, Die Sammlung Eduard L. Behrens zu Hamburg: Catalog (Nachtrag) — München, 1898, S. 47 (https://doi.org/10.11588/diglit.22373#0047)

Das Porträt des Bankiers, gemalt vom Münchner „Society-Maler“ Franz von Lenbach entsteht erst nach seinem Tod. Der von Behrens geförderte Künstler Paul Meyerheim erzählt die Anekdote: „Als der greise Stifter gestorben war, ersuchte seine Familie brieflich Franz v. Lenbach, ein Porträt von Eduard Behrens zu malen und zwar nach Photographien, was Lenbach kurz zurückwies. Die Familie entsandte aber noch einen kunstsinnigen Bekannten direkt zum Meister, der sich wiederum trotz Angebot eines hohen Preises ablehnend verhielt. Am nächsten Tage indes besuchte er den Fürsprecher noch im Hotel und befragte ihn, wie lange er noch in München zu bleiben gedenke; die Antwort war: „bis morgen nachmittag“, worauf Lenbach sagte: „Na, da könnt’s das Bild glei mitnehmen“ und so geschah es.“

In der Hamburger Herrmannstraße befindet sich das neue Bankgebäude.

Bildarchiv Hamburg, www.hamburg-bildarchiv.de

Seine private Gemäldesammlung, eine der bedeutendsten ihrer Zeit, erbt sein älterer Sohn, Eduard Ludwig junior, der Vater von George Behrens. Der zweitgeborene Sohn Theodor erbt die Porzellansammlung und Zeichnungen des zeitgenössischen Künstlers Adolph Menzels. Eduard Behrens vergrößert gerade das Unternehmen und baut in der Hermannstraße 31, im Herzen der Stadt hinter dem Hamburger Rathaus ein neues Bankgebäude. Im zweiten Stock befinden sich großzügige Galerieräume, in denen die Gemäldesammlung ausgestellt ist. In dieser glanzvollen Umgebung finden auch die Sitzungen des Bankgeschäftes statt.

Schwarzweißfotografie. Vornehm eingerichteter Sitzungssaal mit Wandbespannung und zahlreichen Bildern in Goldrahmen.
Sammlung Eduard L. Behrens in den Räumen der Bank, Hermannstraße 31.

175 Jahre L. Behrens & Söhne, Hamburg, S. 31.

Ein Besucher, der Jurist und Mäzen Gustav Schiefler, schwärmt über die Sammlung: „Sie schmückte die Konferenzräume des Bankhauses in der Hermannstraße. Im Empfangszimmer sah sich der Eintretende einer Anzahl Kabinettstücke von der Hand Menzels gegenüber. An den Wänden des Sitzungszimmers, dessen Mitte durch einen langen Tisch eingenommen wurde, hingen die Perlen der Meister von Barbizon…

Narcisso Virgilio Diaz de la Peña, Die verletzte Eurydike (1862), 2013 restituiert.

Bayerische Staatsgemäldesammlungen

…Es will schon etwas bedeuten, wenn in den Pausen der Beratung die Geschäftsfreunde und Finanzleute sich vor der köstlichen Oise-Landschaft Daubignys, (…) einem Jagdbild Decamps und einer im Waldesdickicht badenden Nymphe des Diaz Erholung suchen konnten…“

Schwarzweißfotografie. Berittenes Regiment auf Parade.
Das Dragonerregiment, in dem auch George Behrens diente, 1911 bei der Kaiserparade in Hamburg.

Bundesarchiv, Bild 136-B0393, Fotograf: Oscar Tellgmann

George Behrens dient als Freiwilliger ein Jahr im Militär in Ludwigslust – beim Dragonerregiment, einer berittenen Einheit. Er absolviert eine Ausbildung im Bankgeschäft und geht dann einige Jahre ins Ausland, um an den großen Börsen der Welt seine Kenntnisse zu vertiefen. Doch 1905 muss er überstürzt zurückkehren, denn sein Vater ist schwer erkrankt.

Bewahrung der Kunstsammlung

Schwarzweißfotografie. Repräsentatives Museumsgebäude.
Die Kunsthalle in Hamburg in den frühen 1890er Jahren.

Public domain, via Wikimedia Commons

So wird George Behrens mit Mitte Zwanzig Teilhaber der Firma. Neben den Bankgeschäften handelt Behrens mit Zucker und liefert nach dem Ersten Weltkrieg große Mengen dieses Lebensmittels als Reparationsleistung nach Frankreich.

Nach dem Tod des Vaters 1925 erbt George die große Gemäldesammlung. Die aber ist durch die hohe Erbschaftssteuer belastet. Zudem laufen die Geschäfte nicht gut, die weltweite Wirtschaftslage ist angespannt. Der Verkauf der Sammlung droht. Da einigt sich der Bankier mit der Hamburger Kunsthalle auf einen Dauerleihvertrag: Zehn Jahre lang darf die Stadt alle Gemälde der berühmten Privatsammlung öffentlich ausstellen. Behrens kann während dieser Zeit nicht frei darüber verfügen, darf auch keines der Kunstwerke verkaufen. Aber er umgeht die hohe Steuerzahlung und kann dadurch die Sammlung retten.

Schwarzweißfotografie. Ein Geschäftshaus bei Nacht, das durch Beleuchtung bestimmter Fenster an der Fassade ein leuchtendes Hakenkreuz darstellt.
Propagandistische Fensterbeleuchtung an einem Hamburger Geschäftshaus, Februar 1935

Bundesarchiv, Bild 102-16635

Erste Fluchtpläne

Als zehn Jahre später die Verpflichtungen zur Dauerleihgabe enden, hat sich einiges geändert: Nun sind die Nationalsozialisten an der Macht. George Behrens ist zwar getauft, gilt nach den Nürnberger Gesetzen jedoch als Jude. Wegen der wachsenden Hetzpropaganda und den wirtschaftlichen Repressalien überlegt er, den Hauptsitz seines Bankhauses ins Ausland zu verlagern.

Doch der Geschäftstransfer scheitert, das Bankhaus Behres wird von den Nationalsozialisten liquidiert. Und auch der Verkauf von Kunstwerken ist ihm versagt. Dies ist besonders perfide: Die Mitarbeiter der Kunsthalle, mit denen die Familie Behrens seit Jahrzehnten vertrauensvoll zusammengearbeitet hat, nutzen die Notsituation aus. Denn als Behrens verlautbaren lässt, dass er mit dem Ablauf der Zehnjahresfrist nun frei ist, seine Gemälde im In- und Ausland zu verkaufen, reagiert das Museum umgehend. Es lässt zahlreiche Gemälde der Behrens’schen Kunstsammlung unter Schutz stellen, sie werden in das „Verzeichnis der national wertvollen Kunstwerke“ aufgenommen. Dadurch verhindert die Kunsthalle, dass Behrens seine Kunstwerke ins Ausland bringen kann. Georges Mutter Franziska Behrens, die als „Mischling 1. Grades“ gilt und damit vorläufigen Reichsbürgerstatus hat, kann in Hamburg bleiben. Sie veranlasst im Oktober 1939 die Verbringung der Sammlung in die Sicherheitsgewölbe des Bankhauses.

Bildtitel XY

Bildunterschrift XY

Das Verzeichnis der national wertvollen Kunstwerke

Im Dezember 1919 verabschiedete die noch junge Weimarer Republik die Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken. Die als besonders schützenswert eingestuften Kunstwerke in Privatbesitz wurden einer Ausfuhrgenehmigung unterworfen, durften also nicht mehr ins Ausland verbracht werden. Sie wurden auf einer Liste eingetragen, dem Verzeichnis der national wertvollen Kunstwerke. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde diese Verordnung oft instrumentalisiert. Um z.B. eine Abwanderung jüdischer Privatsammlungen ins Ausland zu verhindern, wurden Kunstwerke als ‚national wertvoll‘ eingestuft.

Haft, Flucht und Deportation

Häftlingskolonnen vor dem Lagertor zum KZ Sachsenhausen.

Bundesarchiv, Bild 183-78612-0002 / CC BY-SA 3.0 de

Im Zuge des Novemberpogroms 1938 wird George Behrens inhaftiert und ins KZ Sachsenhausen gebracht. Erst im März 1939 kommt er frei. Er flieht nach Brüssel, wo er sich sicher glaubt.

Doch er kann nur kurz aufatmen. Im Mai 1940 besetzen deutsche Truppen Belgien. Daraufhin werden viele der jüdischen Flüchtlinge, die dort Schutz gesucht hatten, nach Frankreich deportiert. Unter ihnen ist George Behrens. Er wird in das Internierungslager Saint-Cyprien gebracht.

Das Lager Saint-Cyprien

Gemälde. Selbstporträt von Felix Nussbaum im Lager Saint Cyprien.
Felix Nussbaum, Selbstbildnis im Lager (1940).

Public domain, via Wikimedia Commons

Am Fuß der Pyrenäen, am Strand des Mittelmeers, ist 1939 hastig dieses Lager errichtet worden – ursprünglich, um Menschen zu internieren, die vor dem Bürgerkrieg aus Spanien fliehen. Die Lebensbedingungen sind menschenunwürdig: es gibt kein sauberes Wasser, keine Sanitäranlagen, Ungeziefer und ansteckende Krankheiten setzen den ca. 90.000 Internierten zu. Trotzdem werden ab Mai 1940 noch etwa 1.000 jüdische Flüchtlinge aus Belgien hier untergebracht.

Einer von ihnen: der Maler Felix Nussbaum (1904-1944). Er ist, wie George Behrens, aus Deutschland nach Brüssel geflohen und wird von dort nach Saint-Cyprien deportiert. Ob Nussbaum und Behrens sich im Lager begegnet sind, weiß man nicht. Doch was der Künstler erlebt und auf Leinwand bannt, ist auch die Lebensrealität von George Behrens: Ausgemergelte Gestalten hinter Stacheldraht, Sandwüste, Baracken und Blecheimer, die als Latrinen dienen.

Gemälde. Ausgemergelte Gestalten hinter Stacheldraht auf Sandstrand.
Felix Nussbaum, St. Cyprien (Gefangene in Saint Cyprien), (1942).

Felix-Nussbaum-Haus im Museumsquartier Osnabrück, Leihgabe der Niedersächsischen Sparkassenstiftung © Museumsquartier Osnabrück, Fotograf Christian Grovermann

George Behrens hilft seinen Mitgefangenen. Er ist Mitglied des Protestantischen Komitees im Lager und schreibt etliche Briefe an die amerikanischen Quäker, eine protestantische Hilfsorganisation, die sich für Flüchtlinge und Verfolgte einsetzt. Die Quäker versprechen, Lebensmittelpakete zu senden.

Mit Hilfe von Freunden gelingt George Behrens die Flucht nach Kuba. Für die nächsten Jahre wird Havanna sein Wohnort.

Der Weg des Gemäldes: Von Hamburg nach Carinhall…

Narcisso Virgilio Diaz de la Peña, Die verletzte Eurydike (1862).

Bayerische Staatsgemäldesammlungen

Das Gemälde der badenden Nymphe, auch „Die verletzte Eurydike“ genannt, das einstmals in den Räumen der Behrens-Bank die Besucher:innen entzückte, wird unterdessen verkauft – sehr wahrscheinlich, um den Lebensunterhalt des Geflohenen zu sichern.

Schwarzweißfotografie. Großes modern-funktionales Gebäude aus Ziegelstein.
Die Henschel-Flugzeugwerke in Berlin-Schönefeld.

Henschel Museum und Sammlung e.V. Kassel

Ein Geschenk an den Oberbefehlshaber der Luftwaffe

Es wechselt etliche Male die Hände: Zuerst erwirbt es die Hamburger Kunsthändlerin Brigitte Frauendorfer, sie verkauft es im Dezember 1940 an Görings Chefeinkäufer Walter Andreas Hofer, der wiederum verkauft es weiter an den Flugzeugfabrikanten Oskar Henschel, der es am 12. Januar 1941 Hermann Göring zum Geburtstag schenkt. So gelangt das Gemälde von Hamburg in Görings Privatsammlung in Carinhall.

Hintergrund

…von Berchtesgaden nach München

Schwarzweißfotografie. Männer, einige davon in Uniform, laden Gemälde von einem Armeelastwagen.
Am Südeingang des Central Collecting Point werden Kunstwerke angeliefert.

Zentralinstitut für Kunstgeschichte München, Photothek, ZI-0984-04-00-390878

Als die Rote Armee im Zweiten Weltkrieg näher rückt, verlagert Göring seine Kunstsammlung nach Bayern. Dort findet die US-Armee die Werke und verbringt sie in den Central Collecting Point. Dabei: Das Gemälde von Narcisso Virgilio Diaz de la Peña.

1948 kehrt George Behrens nach Hamburg zurück. Er stirbt 1956.

Mit der Aufteilung der Kunstwerke aus dem Besitz Hermann Görings wird das Gemälde 1961 Eigentum der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Bei der Untersuchung der Provenienzen der ehemaligen Sammlung Göring verdichtet sich der Verdacht auf einen verfolgungsbedingten Verlust. 2013 kann das Gemälde an die rechtmäßigen Eigentümer:innen restituiert werden.