Aus der niedersächsischen Provinz nach Berlin

Schwarz-weiß-Fotografie: Neun Personen, die Männer in Anzügen, die Frauen in Mänteln und mit Hüten, im Freien stehend
Jakob Goldschmidt (zweiter von rechts) mit seiner Frau Sophie und seinen sechs Geschwistern, vor 1922.

Family collection

Eine große Familie

Jakob Goldschmidt wird am 31. Dezember 1882 in eine niedersächsische Kaufmannsfamilie geboren. Beide Eltern, Markus Feist Goldschmidt (1851−1928) und Helene Goldschmidt, geb. Bachrach (geb. 1850) sind jüdisch. Jakob Goldschmidt hat noch sechs Geschwister: Karl, Julius, Louis, Paul, Ella und Hedwig. Alle sieben Goldschmidt-Kinder kommen in der Kleinstadt Eldagsen, zwischen Hameln und Hannover, zur Welt.

Schwarz-weiß-Fotografie: Ein Herr im Anzug, am Schreibtisch sitzend
Jakob Goldschmidt.

Family collection

Eine Karriere nimmt ihren Lauf

Nach erfolgreich abgeschlossener Bank-Ausbildung zieht Goldschmidt 1907 nach Berlin, wo er als Prokurist arbeitet.

1910 wird Goldschmidt Mitinhaber des neu gegründeten Bankhauses Schwarz, Goldschmidt & Co. Das ist der Anfang einer fulminanten Karriere.

Familie und Schicksalsschlag

Als Bankier verdient er gut, deshalb steht nun auch der Familiengründung nichts im Wege. Am 5. April 1913 heiraten Jakob Goldschmidt und Sophie Wolpert, geb. Joseph (1884−1922). Drei Jahre später kommt ihr Sohn Alfred Erwin (1916−1970) zur Welt.

Schwarz-weiß-Fotografie: Ein Schriftzug in einem Durchgang mit Rundbogen, dahinter ein Treppenhaus
Sophie-Goldschmidt-Mädchenheim, Schönhauser Allee 162, Berlin-Prenzlauer Berg. Aufnahme von 1935.

Bildarchiv Pisarek / akg-images

Mit nur 38 Jahren stirbt Sophie Goldschmidt am 19. Oktober 1922. Zur Erinnerung stiftet Goldschmidt 1927 das Sophie-Goldschmidt-Mädchenheim an der Schönhauser Allee.

Schwarz-weiß-Fotografie: Ein großes, mehrstöckiges Gebäude mit verzierter Steinfassade
Das Hauptverwaltungsgebäude der Darmstädter und Nationalbank in Berlin, 1925.

Bundesarchiv, Bild 183-H28575

Ein Stück Papier mit rundem, blauem Feld mit weißer Schrift
Briefsiegel der Darmstädter und Nationalbank, vor 1923.

Gemeinfrei, über Wikimedia commons

Kurz vor dem persönlichen Schicksalsschlag wird Goldschmidt 1919 mit nicht einmal 30 Jahren in den Vorstand der Nationalbank für Deutschland berufen. Zwei Jahre später wird diese mit der Darmstädter Bank zusammengelegt und heißt nun Darmstädter und Nationalbank, kurz: Danat-Bank.

Goldschmidt wird persönlich haftender Gesellschafter der Danat-Bank, die rasant in die Oberliga der Berliner Großbanken aufsteigt.

Geld für Kunst

Gemälde: Ein junger Mann in roter Weste und mit braunem Hut
Paul Cézanne: Der Knabe mit der roten Weste, 1880-1890, ehem. Sammlung Jakob Goldschmidt.

National Gallery of Art, Washington D. C., Collection of Mr. and Mrs. Paul Mellon. Public domain. 🔍 Über das Bild mit der Maus fahren, um zu vergrößern

Porzellan und Impressionismus

Als erfolgreicher Bankier hat Goldschmidt genug Geld, um Kunst zu sammeln. Zuerst gilt seine Leidenschaft ostasiatischen Porzellanen. Später interessiert er sich für den französischen Impressionismus. 1929 kauft er in Paris dieses Bild von Paul Cézanne.

Schwarz-weiß-Fotografie: Ein zweistöckiges Gebäude mit herauskragendem Giebel auf vier Säulen, in einem Garten
Die Goldschmidt-Villa am Griebnitzsee in Neubabelsberg, Aufnahme von 1929.

Family collection

Schwarz-weiß-Fotografie: Ein zweistöckiges Gebäude mit verzierter Fassade und abgerundetem Giebel
1929 erwirbt Goldschmidt das Wohnhaus in der Matthäikirchstraße 31. Aufnahme von 1912.

Architekturmuseum der TU Berlin, Inv. Nr. B 3258,060

Zwei Häuser voller Kunst

Seine Kunstsammlung verwahrt er in seiner Villa in Neubabelsberg und in seinem Stadthaus in der Matthäikirchstraße im Berliner Tiergartenviertel.

Fotografien der Neubabelsberger Villa zeigen die reiche Ausstattung mit kostbaren Möbeln, Skulpturen und wertvollen Gemälden an den Wänden.

Bankencrash

Zentralverband des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes im Plenarsaal des Reichstages, 1931.

bpk / Berlinische Galerie / Erich Salomon

Schwarz-weiß-Fotografie: Zahlreiche Menschen, die vor dem Eingang eines Gebäudes stehen, daneben ein parkendes Auto
Nach Zahlungseinstellung der Danat-Bank: Die Menschen stürmen die Banken, um ihr Erspartes zu retten, hier am Mühlendamm, Berlin, 1931.

bpk / Art Library, SMB, Photothek Willy Römer / Willy Römer

Am 13. Juli 1931 bricht infolge der Weltwirtschaftskrise das deutsche Bankensystem zusammen. Trotz Krisensitzung im Reichstag wird auch die Danat-Bank zahlungsunfähig. Goldschmidt wird zwar von der Regierung aus der persönlichen Haftung für die Verluste seiner Bank entlassen, ist aber trotzdem mit mehreren Millionen Reichsmark verschuldet.

„Der Tag, an dem die Danat-Bank ihre Schalter schloß, war auch ein Schicksalstag für Jacob Goldschmidt, der mit seinem Institut so eng verknüpft war, wie kein anderer Großbankleiter. […] Die Rolle der Danat-Bank ist wohl für alle Zeiten ausgespielt.“

Magazin der Wirtschaft, 17. Juli 1931

Kredit gesichert

Als Absicherung für seine Kredite übereignet Goldschmidt der Bank im Dezember 1931 seine beiden Häuser mitsamt den Kunstgegenständen und Möbeln. 1932 wird die insolvente Danat-Bank von der Dresdner Bank übernommen. Damit wechselt auch Goldschmidts Kredit zur neuen Gläubigerin.

Flucht und Verfolgung im NS-Regime

Bis 1933 kann Goldschmidt seine Bankschulden von zehn Millionen auf sieben Millionen Reichsmark verringern. Trotzdem stellt sich keinerlei Besserung ein, denn die Nationalsozialisten kommen an die Macht. Er darf jetzt kein Geld mehr von seinem Konto abheben und Umbuchungen werden nicht genehmigt.

Außerdem wird Goldschmidt in nationalsozialistischen Hetzblättern verleumdet.

„Eine Gruppe von Hitler’s Anhaengern auf der Suche nach Jakob Goldschmidt fanden dessen Bruder Louis, den sie durch die Strassen schleiften, ihn in unmenschlicher Weise zusammenschlugen und ihn auf der Strasse liegend seinem Schicksal ueberliessen. Als Jakob Goldschmidt einige Minuten spaeter von diesem Vorfall unterrichtet wurde, floh er ohne Vorbereitungen mit seinem Sohn Erwin sofort nach Erhalt dieser Nachricht. Er liess seinen gesamten Besitz – Vermoegen, Wertpapiere, sowie jegliches andere bewegliche und unbewegliche Besitztum – hier in Deutschland zurueck.“

Aus den Wiedergutmachungsakten, 16. Januar 1958 (Landesarchiv Berlin, B Rep. 025-02, Nr. 200/57)

Schwarz-weiß-Fotografie: Ein großes Schiff im Meer
Das britische Passagierschiff Queen Mary, Aufnahme von 1944.

bpk-Fotoarchiv / Fotograf unbekannt

Flucht über den Atlantik

Goldschmidt flüchtet am 15. April 1933 in die Schweiz. Das Berliner Finanzamt verlangt von ihm über 1,8 Millionen Reichsmark Reichsfluchtsteuer. Später zieht er weiter über England nach New York. Bei den amerikanischen Behörden gibt er an, dass er am 2. November 1936 mit der Queen Mary in den Hafen von New York eingelaufen ist.

Eine Schule für ‚Reichsführerinnen‘

1938 verkauft die Dresdner Bank die Villa Goldschmidt in Neubabelsberg an die Nationalsozialisten, die sie für Schulungszwecke nutzen.

Fotografie eines Schriftstücks: gelbliches Papier, mit Schreibmaschine beschrieben
Schreiben des Reichssicherungshauptamts, 28. November 1940.

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, 36 A (II), Nr. 12990. Public domain. 🔍 Über das Bild mit der Maus fahren, um zu vergrößern

Goldschmidt wird 1940 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. 1941 wird sein noch in Deutschland befindliches Vermögen zugunsten des Deutschen Reichs beschlagnahmt.

Bedrucktes Papier mit Text und einem gemalten Bild von einem jungen Mann
Anzeige für die Versteigerung der Sammlung Goldschmidt in der Zeitschrift „Weltkunst“ vom 1. September 1941.

Universitätsbibliothek Heidelberg / Die Weltkunst, 15.1941, S. 5. 🔍 Über das Bild mit der Maus fahren, um zu vergrößern

Forced sale

1941 lässt die Dresdner Bank auch die Gemälde und kunsthandwerklichen Gegenstände verkaufen, die ihr seit 1932 zur Sicherung des Kredits übereignet sind. Das Berliner Auktionshaus Hans W. Lange wird mit dem Verkauf beauftragt. Dort wird die „Sammlung J. G.“ am 25. September 1941 versteigert.

Restitutions

Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Sammlung Goldschmidt über die Welt verteilt. Die Familie begibt sich auf die Suche und stellt bei den Deutschen Behörden viele Anträge auf Entschädigung, Rückerstattung und Wiedergutmachung.

Jakob Goldschmidt stirbt am 23. September 1955 im New Yorker Exil. Seine Erben setzen die Suche fort und erhalten 1960 von den Staatlichen Museen zu Berlin eine Holzfigur zurück, die Albrecht Dürer zugeschrieben ist. Die Skulpturensammlung erwarb sie 1938.

Farbfotografie einer Figur aus Holz: Der Oberkörper einer Frau mit Kind an der Brust
Umkreis des Meisters der Biberacher Heiligen Sippe: Maria Lactans, Lindenholz, um 1520. 2023 restituiert.

Staatliche Museen zu Berlin, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst / Marion Böhl. Public Domain Mark 1.0. 🔍 Über das Bild mit der Maus fahren, um zu vergrößern

Rückgabe aus Berlin

Jahrzehnte später kann eine zweite Figur in der Skulpturensammlung ausfindig gemacht werden, die aus der Sammlung Goldschmidt stammt. Sie wird im Januar 2023 an die Erben zurückgegeben. Der Kunsthändler Johannes Hinrichsen hatte sie aus einer früheren Goldschmidt-Auktion im Auktionshaus Hugo Helbing ersteigert und an die Staatlichen Museen weiterverkauft.

Auch München restituiert

Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und das Bayerische Nationalmuseum in München restituieren 2024 ein Gemälde von Hans Wertinger und zwei Skulpturen aus dem 16. Jahrhundert an die Erben von Jakob Goldschmidt.

Beitrag des rbb über Jakob Goldschmidt

For data protection reasons, vimeo needs your consent to be loaded.