Gemälde im Stil des Impressionismus, das eine Familie - Martin, Florence und die Söhne Herbert und Fritz zeigt.
Jakob Nussbaum: Familie Flersheim, 1904.

Historisches Museum Frankfurt am Main / Horst Ziegenfusz

Glückliche Tage

Eine Familie im Garten. Die Mutter im Mittelpunkt, in einem hellen Sommerkleid, die Haare hoch frisiert. Der Vater steht entspannt daneben. Stundenlang still sitzen, um gemalt zu werden – die beiden Söhne scheinen nicht so recht zu wissen, was sie davon halten sollen. Die Sonne schimmert im grünen Laub – ein schöner Sommertag in Frankfurt am Main im Jahr 1904.

Gemälde im Stil des Impressionismus, das den Maler Jakob Nussbaum zeigt, gekleidet in einen hellen Anzug mit Krawatte und einen Malerkittel. Er hält in der linken Hand eine Palette, in der rechten Hand einen Pinsel.
Ottilie Roederstein: Bildnis des Malers Jakob Nussbaum, 1909.

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Ein Treffpunkt für Kunstfreunde

Die Frau im hellen Kleid ist Florence Mary Flersheim, geborene Livingstone, eine Amerikanerin aus San Francisco. Sie ist mit dem Frankfurter Unternehmer Martin Flersheim verheiratet und sie haben zwei Söhne, Herbert und Fritz. Der jüdische Künstler Jakob Nussbaum, der das Familienporträt malt, ist ein Freund der Familie. So erinnert sich der Direktor der Frankfurter Städtischen Galerie, Alfred Wolters: „Ich habe Nussbaum, solange er noch in Frankfurt war, sehr viel gesehen, beispielsweise an den Sonntag-Abenden im Hause Martin Flersheim, des leidenschaftlichen Kunstfreundes, Kunstsammlers, Mäzens, in dessen schönem Haus mit dem pompösen Galerie-Anbau sich alle Frankfurter trafen, für die der Umgang mit Kunst ernsthafte Bedeutung hatte.“

Frankfurt – Stadt der Kunst

 Historische schwarz-weiß-Fotografie einer großen Straßenkreuzung mit einem Springbrunnen.
Der Frankfurter Kaiserplatz in den 1920er Jahren.

Bundesarchiv, Bild 146-2009-0145

Frankfurt, als bürgerliche Stadtrepublik, ist geprägt von einem großen Gemeinsinn. Hier sind es nicht die Fürsten, die die Museen bauen. Stattdessen fördert das freie Bürgertum, darunter viele jüdische Bürger:innen, die Kunst- und Kulturszene.

Ölgemälde. Ein älterer Mann sitzt an der Außenwand einer Hausruine im Wald und liest. Vor ihm sitzen zwei Kaninchen.
Carl Spitzweg: Der Einsiedler vor der Klause, 1875, ein Geschenk Martin Flersheims.

Städel Museum, Frankfurt am Main 🔍 Über das Bild mit der Maus fahren, um zu vergrößern

Auch Martin Flersheim engagiert sich, unterstützt Kunstschaffende, Kulturinstitute und Museen. So hängen im Kunstmuseum der Stadt Frankfurt, dem Städel, noch heute mehrere Gemälde aus einer Schenkung von Flersheim.

Die Frankfurter Unternehmerfamilie Flersheim

Die Brüder Martin und Ernst Flersheim führen ein erfolgreiches Importunternehmen. Gemeinsam mit ihren Ehefrauen bauen sie große und bedeutende Kunstsammlungen auf, beteiligen sich rege am kulturellen Leben der Stadt Frankfurt, pflegen Freundschaften zu Künstler:innen.

Ernst Flersheim erinnert sich: „Kurz nach unserer Verheiratung haben wir angefangen, Bilder zu sammeln […]. Unsere Neigung galt hauptsächlich zeitgenössischen deutschen Malern, von denen wir einige, wie Steinhausen und Trübner persönlich kannten. Mit dem Frankfurter Maler Jakob Nussbaum waren wir besonders befreundet. Auch bei meinem Bruder Martin, der eine bedeutende Bildersammlung besaß, und der ein sehr gastliches Haus hatte, hatten wir häufig Gelegenheit, Künstler kennenzulernen.“

Ernst Flersheim erinnert sich an den Besuch bei Rodin. Ernst Flersheim: Lebenserinnerungen, S. 20. Leo Baeck Institute Archives, New York.

In der internationalen Kunstszene

Nicht nur in Frankfurt bewegen sich die Flersheim in der Kunstszene. Sie sind auch mit dem spanischen Maler Ignacio Zuloaga befreundet und besuchen während einer Reise nach Paris den Bildhauer Auguste Rodin.

Freundschaft mit dem Künstler Jan Toorop

Schwarzweißfotografie. Jan Toorop, Gertrud Flersheim, Ernst Flersheim und Jakob Nussbaum auf Korbstühlen unter einem Sonnensegel.
Jan Toorop, Gertrud Flersheim, Ernst Flersheim und Jakob Nussbaum in Domburg, 1908.

Toorop Collection, Koninklijke Bibliotheek, The Hague

Zum Freundeskreis von Ernst und Gertrud Flersheim gehört auch der Maler Jan Toorop. Wahrscheinlich freunden sie sich 1905 an, als Toorop eine Ausstellung in Frankfurt hat. Mehrmals besuchen die Flersheims den Künstler im niederländischen Badeort Domburg. In seinen Erinnerungen beschreibt Ernst Flersheim den Maler: „Er war ein ausserordentlich gütiger, tief religiöser Mensch, sehr musikalisch, improvisierte er häufig selbst am Klavier. Unvergesslich sind mir die Spaziergänge, die wir häufig abends zusammen machten, in denen er über seine Weltanschauung sprach und uns auf die Schönheiten der Natur aufmerksam machte.“

Grafik. Ein älterer Mann steht vor einem halb geöffneten Fenster. Im Hintergrund ist ein großer Kirchturm.
Jan Toorop: Gottvertrauen, 1907.

UB Heidelberg, https://doi.org/10.11588/diglit.7005#0344

Die Flersheims erwerben mehrere Bilder von Toorop, darunter die Grafik „Gottvertrauen“ aus dem Jahr 1907.

Tod in Bergen-Belsen

„Im Januar 1933 kam Hitler zur Macht, was das für jeden Juden in Deutschland bedeutet, brauche ich nicht zu sagen“, schreibt Ernst Flersheim in seinen Erinnerungen 1939. Er flieht mit seiner Frau 1937 nach Amsterdam. Doch das sicher geglaubte Holland wird 1940 von der deutschen Wehrmacht besetzt. Die Flersheims werden im Februar 1944 in das KZ Bergen-Belsen deportiert und dort ermordet.

Karteikarte, auf der handschriftlich die Lebensdaten von Ernst Flersheim notiert sind.
Karteikarte, auf der handschriftlich die Lebensdaten von Gertrud Flersheim notiert sind.
Sterbekarten von Ernst und Gertrud Flersheim aus der Kartothek des Judenrats in Amsterdam.

Joods Cultureel Kwartier Amsterdam

Historische Fotografie. Ein Brautpaar, Edita und Georg Eberstadt. Sie stehen vor einer Wand mit Gemälden. Neben ihnen große Blumenbouquets.
Die Hochzeit von Edita und Georg, 1920.

Michael Eberstadt

Von England in die USA

Edita Flersheim, die Tochter von Gertrud und Ernst, heiratet 1920 den Bankier Georg Eberstadt. Sie emigrieren im Sommer 1936 mit ihren Kindern Brigitte und Walter nach England.

Walter Eberstadt als junger Mann in Uniform. Er lächelt und hält eine Tabakspfeife im Mundwinkel.
Walter Eberstadt als Leutnant, 1943.

Michael Eberstadt

Walter studiert in Oxford, geht aber nach einem Jahr Studium zur britischen Armee und kämpft in der Normandie. Mit der britischen Besatzungsarmee kehrt er nach Deutschland zurück und baut im Auftrag der Alliierten die Rundfunkstation Radio Hamburg auf. Er kann ja Deutsch und kennt das Land. In den frühen 1950er Jahren emigriert er in die USA.

Bemühung um Restitution

Foto. Buchcover, das ein historisches Foto eines herrschaftlichen Hauses zeigt.
Titelseite der Familienbiografie von Walter Eberstadt.

Bayerische Staatsgemäldesammlungen

Walter Eberstadt wird ein erfolgreicher Bankier. 2002 veröffentlicht er die Familienbiografie „Whence we came, where we went“. Darin beschreibt er auch seine Bemühungen, die Kunstwerke zurückzuerhalten, die seinen ermordeten Großeltern Ernst und Gertrud Flersheim gehört haben.

Foto. Wohnzimmer, an der Wand die Grafik "Gottvertrauen".
Dreharbeiten bei Michael Eberstadt. Links an der Wand die Grafik „Gottvertrauen“.

Bayerischer Rundfunk

Beispielsweise die Zeichnung Gottvertrauen von Jan Toorop. Sie befindet sich seit 1943 im Museum Boijmans Van Beuningen in Rotterdam. 2001 gibt das Museum das Kunstwerk an die Familie Eberstadt zurück.

Heute hängt es im Wohnzimmer von Ernst und Gertruds Urenkel Michael Eberstadt in Manhattan.

 

 

 

Film

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Florence Flersheims Flucht nach Amsterdam

Historische Fotografie eines fünfstöckigen Hotelgebäudes an einem Kanal.
Doelen Hotel in Amsterdam, 1926.

Sammlung Stadtarchiv Amsterdam

Ernst Flersheims Bruder Martin stirbt nach längerer Krankheit im Jahr 1935. Seine Frau Florence flieht mit dem Sohn Fritz zunächst nach Amsterdam, wo sie einige Monate im Doelen Hotel wohnt.

Historische Fotografie. Zwei große Container aus Holz auf einem Fahrgestell.
Solche Liftvans wurden häufig für jüdisches Umzugsgut verwendet.

Stadtarchiv Dannenberg an der Elbe, Archiv-ID 18696

Aufgrund der diskriminierenden Auflagen des NS-Staates muss Florence Flersheim große Teile ihres Vermögens und ihrer Wertgegenstände zwangsweise verkaufen oder zurücklassen.

Es gelingt ihr jedoch, Teile ihres Hausrats und der Kunstsammlung mitzunehmen und in zwei Liftvans, großen Umzugscontainern aus Holz, im Freihafen Amsterdam zu lagern.

Liebermanns Gemälde „Badende Jungen“

Fotografie eines Gemäldes in Sepiatönen wiedergegeben. Eine Gruppe von Jungen am Strand. Einige sind noch im Wasser, andere sind am Land und ziehen sich an. Der Himmel ist bewölkt.
Eine zeitgenössische Reproduktion des Gemäldes.

Bayerische Staatsgemäldesammlungen

In einem dieser Liftvans befindet sich das Bild „Badende Jungen“ von Max Liebermann. Das Ehepaar Flersheim hatte es direkt vom Künstler erworben.

Fotografie. Stempelaufdruck.
Mit diesem Stempel markierte der ERR geraubte Gegenstände.

Wikimedia Commons, gemeinfrei

Im Sommer 1944 plündert der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) den Amsterdamer Freihafen und beschlagnahmt dabei auch das Umzugsgut von Florence Flersheim. Lange wurde vermutet, dass darunter auch das Bild der „Badenden Jungen“ war und es sich somit um Raubkunst handelt, die restituiert werden muss.

Ölgemälde. Eine Gruppe von Jungen am Strand. Einige sind noch im Wasser, andere sind am Land und ziehen sich an. Der Himmel ist bewölkt. Das Meer hat Schaumkronen.
Max Liebermann: Badende Jungen, 1898.

Bayerische Staatsgemäldesammlungen 🔍 Über das Bild mit der Maus fahren, um zu vergrößern

Doch das Liebermann-Gemälde fällt dem ERR nicht in die Hände: Florence Flersheim gelingt es, das Bild der Amsterdamer Filiale der Kunsthandlung Cassirer in Kommission zu geben. Im Archiv von Cassirer wird 2022 der entscheidende Hinweis auf diese sichere Aufbewahrung gefunden. Im Auftrag des Sohnes Fritz Flersheim werden die „Badenden Jungen“ 1954 versteigert. Der Käufer schenkt das Gemälde 1981 den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen.