Das schreibt August Liebmann Mayer über Toledo. Nach seiner Promotion in Berlin über den spanischen Maler Jusepe de Ribera reist er 1908 durch Europa. Mehrere Wochen verbringt er in Spanien.
Von Toledo ist er so fasziniert, dass er einen Reiseführer über die alte Kaiserstadt verfasst.
Aus Mayers Reiseführer „Toledo“.
Aus dem schmalen Bändchen spricht Mayers Liebe zu Spanien und zur spanischen Kunst.
Vielleicht zieht es ihn deshalb nach München: In der Alten Pinakothek gibt es eine bedeutende Sammlung spanischer Malerei. 1909 wird er – zunächst unbesoldet – als wissenschaftlicher Mitarbeiter eingestellt.
Eine glänzende Karriere
Vom unbezahlten Mitarbeiter steigt August Liebmann Mayer rasch zum geachteten Experten auf.
Er forscht und publiziert unermüdlich. Allein im Jahr 1913 erscheinen von ihm vier Bücher und zwölf Aufsätze im In- und Ausland. Für seine Verdienste um die spanische Kunst wird er in Spanien zweimal mit Orden geehrt.
Neben seiner Museumstätigkeit macht er in der Wissenschaft Karriere, lehrt als Professor an der Münchner Universität. Auch im Kunsthandel ist Mayer als Gutachter sehr gefragt. Er ist international hoch geachtet und gilt als einer der bedeutendsten Kunsthistoriker seiner Zeit. Bis heute haben seine Schriften Gültigkeit und werden immer noch zitiert.
Die private Kunstsammlung
Mayer sammelt selbst Kunst aus sämtlichen Stilepochen. Er besitzt mehrere Ölgemälde, darunter ein Stillleben von Renoir, Zeichnungen namhafter Künstler wie Corinth und Lehmbruck und über zwanzig antike und mittelalterliche Skulpturen.
Auch als Schriftsteller aktiv
Mayer verfasst nicht nur kunstwissenschaftliche Schriften, sondern übersetzt auch Werke aus dem Spanischen und schreibt Romane, die jedoch nicht zur Veröffentlichung gelangen.
Einen dieser Romane lässt Mayer im Café Stefanie beginnen, ein bei der Münchner Bohème beliebtes Café. Dort geht auch er ein und aus, denn er gehört zu den künstlerischen und intellektuellen Kreisen Schwabings.
1930 Familienglück
1920 heiratet August Liebmann Mayer Aloisia Däuschinger, die aus der Tschechoslowakei stammt. Im Februar 1930 kommt ihre gemeinsame Tochter Angelika zur Welt.
Doch das Jahr, das so glücklich beginnt,
markiert auch das Ende von Mayers Karriere.
Aufgrund seiner erfolgreichen Gutachtertätigkeit gerät er in das Visier neidischer Fachkollegen, die ihm in polemischer Weise Bereicherung, Unwissenschaftlichkeit und Korruption vorwerfen.
Im Sommer 1930 beginnt eine Hetzkampagne, die unter anderem von Ernst H. Zimmermann, dem Direktor des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg, und den Kunsthistorikern Wilhelm Pinder und Luitpold Dussler betrieben wird.
So spricht Zimmermann gegenüber dem bayerischen Kultusministerium von „jüdischen Doktoren, die mehr Händler als Kunsthistoriker“ wären.
Rücktritt aus Erschöpfung
Mayer erträgt die Hetzkampagne nicht mehr. Im Januar 1931 bittet er um seine Entlassung aus dem Staatsdienst:
„Die Angriffe und Verdächtigungen, die gegen mich von verschiedenen bayerischen Beamten und Kunsthistorikern unternommen bzw. erhoben worden sind, zeigen mir, dass ich einer grösseren Gruppe bayerischer Beamter nicht genehm bin… Wenn ich auch dem Ausgang eines Disziplinarverfahrens mit Vertrauen entgegensehen könnte, so fühle ich mich doch den Aufregungen eines derartigen Prozesses nicht gewachsen, zumal schon jetzt meine Nerven infolge der seit Monaten dauernden Hetzereien schwer gelitten haben.“
Der Direktor der Pinakothek, Friedrich Dörnhöffer, stellt sich hinter seinen Mitarbeiter. Er fügt dem Entlassungsgesuch Mayers ein Begleitschreiben bei, in dem er ihn vor den Vorwürfen in Schutz nimmt und seinen Fleiß und seine Expertise lobt.
Friedrich Dörnhöffer verteidigt seinen Mitarbeiter (Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Akte 3/2b, Dörnhöffer, Korrespondenz 1916-1933).
Die Anfeindungen gehen weiter
Doch der Rücktritt reicht nicht aus, die Angriffe der Kollegen gehen weiter und werden unverhohlen antisemitisch.
Der „Völkische Beobachter“, die Propagandazeitung der NSDAP, bezeichnet Mayer als „jüdischen Kunstparasiten“ und „Expertisenschwindler“. Als die Nazis an die Macht kommen, wird Mayer von der Gestapo im März 1933 in ‚Schutzhaft‘ genommen. Er versucht, sich das Leben zu nehmen.
Das erschüttert seinen ehemaligen Chef Friedrich Dörnhöffer – er setzt sich für seine Entlassung ein. Im Juli 1933 kommt Mayer frei.
Völlig mittellos
Die Nationalsozialisten beschlagnahmen Mayers Besitz, versteigern seine Möbel und die wertvolle Kunstsammlung. Als Jude wird er aus der Reichskulturkammer ausgeschlossen. In seiner beruflichen und privaten Existenz vernichtet, flieht Mayer mit seiner Familie 1935 nach Paris. Dank der Unterstützung durch Freunde kann er seine Bibliothek und einige wenige Kunstwerke mitnehmen.
Auch in Frankreich verfolgt
In Paris kann die Familie erst einmal aufatmen. Mayer arbeitet weiter als Kunstexperte. Er wohnt mit seiner Familie nicht weit vom Louvre, in einer Parallelstraße der Rue de Rivoli.
Doch dann greift 1940 die deutsche Wehrmacht Frankreich an.
Nun gilt Mayer, weil er aus Deutschland kommt, als ‚feindlicher Ausländer‘ und wird deswegen von den französischen Behörden nach Südfrankreich in ein Internierungslager verbracht.
Nach dem Waffenstillstand zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich wird Mayer freigelassen.
Doch nach Paris kann er nicht zurückkehren, denn es steht nun unter deutscher Besatzung. Stattdessen bleibt er im noch unbesetzten Süden.
Er hofft, dass seine Familie ihm nachfolgt. Doch seine Frau Aloisia ist schwer krank. Sie stirbt im August 1941.
Angelika Mayer ist erst elf Jahre alt. Freunde der Familie finden für sie ein Internat in Nizza, das Institut Massenès, dessen Direktorin für die Rettung jüdischer Kinder kämpft.
Raubzug in Paris
Unterdessen wird die Wohnung Mayers in Paris vom Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) geplündert. Die wenigen ihm noch verbliebenen Kunstwerke und seine Bibliothek werden nach Deutschland verbracht, mehrere Kunstwerke werden direkt an Hermann Göring geschickt, der eine eigene Privatsammlung aufbaut.
Der untergetauchte Kunstexperte
August Liebmann Mayer versucht, obwohl er verfolgt wird, weiterhin seinen Lebensunterhalt als Kunstexperte zu verdienen.
Er wechselt häufig den Wohnort und arbeitet unter dem Pseudonym Henri Antoine.
Verrat und Ermordung
Schließlich wird Mayer von einem französischen Kunsthändler verraten. Am 3. Februar 1944 verhaftet ihn die Gestapo. Mitarbeiter des ERR versuchen, dem Inhaftierten noch Informationen über den Verbleib von Kunstwerken abzupressen.
Dann wird er über das Durchgangslager Drancy nach Auschwitz deportiert und dort unmittelbar nach seiner Ankunft am 12. März 1944 ermordet.
Die verwaiste Tochter
Zu diesem Zeitpunkt ist Angelika Mayer 14 Jahre alt. Sie ist nun Vollwaise und staatenlos. Dank der Hilfe von Freunden ihrer Eltern überlebt sie.
1951 geht sie in die USA, wo sie ein Studium der Kunstgeschichte aufnimmt.
Sie strengt ab 1954 verschiedene Entschädigungsverfahren mit bundesdeutschen Behörden an.
Für die Vermögensschäden ihres Vaters, den Verlust der Kunstsammlung und der Bibliothek erhält sie im Jahr 1963 2.500 Deutsche Mark.
Mayers Verfolger setzen ihre Karrieren ungehindert fort
Die Verfolger Mayers setzen ihre Karrieren nach dem Krieg unbehelligt fort.
Ernst H. Zimmermann beispielsweise, der an der Hetzkampagne 1930 maßgeblich beteiligt war, wird Museumsdirektor in Berlin, bekommt in den 1950er Jahren das Bundesverdienstkreuz verliehen.
Luitpold Dussler wird trotz seiner Parteimitgliedschaft und seiner Beteiligung an der Verfolgung Mayers 1947 Professor an der Technischen Universität München.
Restitution
Angelika Mayer erhält Bilder zurück
Bei ihrer Provenienzforschung stoßen die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen auf vier Gemälde, die aus der Kunstsammlung August Liebmann Mayers stammen.
2010 werden diese Gemälde auf Basis der Washingtoner Prinzipien an seine damals 80jährige Tochter Angelika Mayer restituiert.
Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen besitzen seit 1918 eine Porträtbüste Mayers.
Der Bildhauer Edwin Scharff, ein Freund des Kunsthistorikers, hat sie geschaffen.
2015 wird die Büste aus dem Depot geholt und vor dem Büro des Generaldirektors in der Neuen Pinakothek in München aufgestellt. Damit erinnern die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen an ihren verfolgten und ermordeten Kollegen.