Im oberen Foyer der James-Simon-Galerie in Berlin wird man von einem steinernen Löwen begrüßt.
Ursprünglich befand sich dieser Löwe nicht auf der Museumsinsel, sondern in einem Palais am Leipziger Platz.
Der Zeitungsverleger Rudolf Mosse und seine Frau Emilie lassen das prächtige Gebäude in den 1880er Jahren erbauen – um darin zu wohnen, aber auch, um ihre ständig wachsende Kunstsammlung unterzubringen.
Am Haupteingang in der Voßstraße werden Besucher:innen von dem steinernen Löwen empfangen. Die Mosses haben ihn 1902 bei dem Bildhauer August Gaul in Auftrag gegeben.
Die Sammlung Mosse
Rudolf und Emilie Mosse sammeln breit, von Antiken, Alten Meistern, Kunsthandwerk bis hin zu Ostasiatika. Der Schwerpunkt der Sammlung liegt jedoch auf Gemälden des deutschen Realismus – insbesondere aus der Zeit, in der Mosse Karriere machte. Das Paar besitzt Gemälde von Böcklin, Leibl, Lenbach, Liebermann und Spitzweg.
Sie möchten, dass sich auch andere Menschen an ihrer Kunst erfreuen können. Das Privatmuseum, scherzhaft auch „Mosseum“ genannt, ist für die Öffentlichkeit zugänglich.
Außerdem haben sie eine umfangreiche Bibliothek, die Wissenschaftler:innen offen steht.
Elternhaus
Der immense Reichtum ist Mosse nicht in die Wiege gelegt worden. Er wird 1843 in eine kinderreiche jüdische Familie geboren – Rudolf ist das sechste von insgesamt 14 Kindern des Arztes Markus Mosse und seiner Frau Ulrike aus dem Provinzstädtchen Grätz bei Posen, dem heutigen Poznan.
Den Nachwuchs zieht es in die Boomstadt Berlin. Hier gibt es Karrierechancen und Absatzmärkte, aber auch Kultur und ein liberales religiöses Umfeld.
Steile Karriere
Rudolf Mosse macht eine Lehre zum Buchhändler. In Berlin fängt er erst einmal klein an – als Buchhandlungsgehilfe und Vertreter. Er verkauft Anzeigen für die beliebte Illustrierte „Die Gartenlaube“, reist dafür quer durch Deutschland, Österreich und die Schweiz.
Diese Tätigkeit bringt ihn auf sein Geschäftsmodell: Er pachtet ganze Anzeigenseiten in Zeitungen weltweit. Diesen Anzeigenraum bietet er Werbekunden zum Verkauf an. Ein gewagter Schritt für einen 24jährigen. Doch er hat Erfolg: Schon 1872 hat sein Unternehmen 250 Zweigniederlassungen im In- und Ausland.
Gleichzeitig baut er ein Verlagsimperium auf. Er gibt – gemeinsam mit seinem Schwager Emil Cohn – mehrere auflagenstarke Zeitungen heraus: Das „Berliner Tageblatt“, das sich bis 1933 zur größten liberalen Zeitung Deutschlands entwickelt, die „Berliner Morgen-Zeitung“, die „Berliner Volkszeitung“ und das „Abendblatt“.
Wohltätigkeit und Mäzenatentum
So erwirbt Rudolf Mosse ein Vermögen. Daran lässt er auch andere teilhaben. Seine Frau und er engagieren sich für Kunst und Wissenschaft und für wohltätige Zwecke. Beispielsweise gründen sie die Emilie- und Rudolf-Mosse-Stiftung, die ein Erziehungsheim für bedürftige Kinder betreibt.
Anlässlich seines 70. Geburtstags im Jahre 1913 spendet Rudolf Mosse 1,58 Millionen für wohltätige Zwecke. Insgesamt 21 verschiedene soziale Einrichtungen bekommen einen Teil des Geldes, etwa die Berliner Altersversorgung, das Virchow-Krankenhaus und Hilfsorganisationen für Obdachlose.
Mosse ist auch ein Freund der Berliner Museen und steht ihnen bei Ankäufen hilfreich zur Seite.
Er finanziert zum Beispiel eine Forschungs- und Ankaufreise von Heinrich Brugsch nach Unterägypten und schenkt dem Ägyptischen Museum in der Folge mehrere hundert, teils spektakuläre Stücke.
Auch politisch engagiert sich der Verleger. Nach dem Sturz der Monarchie im November 1918 beteiligt sich Rudolf Mosse an der Gründung der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), die eine Liberalisierung der Gesellschaft nach bürgerlichen Reformvorstellungen anstrebt.
Das Mosse-Imperium wird weitergeführt
Rudolf Mosse stirbt 1920, seine Frau Emilie 1924. Beide finden ihre letzte Ruhestätte auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee.
Das Mosse-Imperium erben nun die Tochter Felicia und ihr Ehemann Hans Lachmann-Mosse.
Die beiden haben drei Kinder, Rudolf, Gerhard und Hilde.
Erklärvideo zur Weltwirtschaftskrise.
Doch die Zeiten sind schwierig. Die Weltwirtschaftskrise 1929 und die Konkurrenz, die den Zeitungen durch Rundfunk und Film erwachsen, bringen das Verlagsimperium an den Rand des Konkurses.
Gleichzeitig sind die Nationalsozialisten politisch so stark geworden, dass eine Rettung des Verlags nicht möglich ist.
Hetze und Arisierung
Schon vor 1933 gehört der Mosse-Verlag zu Hitlers erklärten Feinden. Als die Nationalsozialisten an die Macht gekommen sind, halten sie mit ihrer Abscheu nicht mehr hinter dem Berg. Der „Völkische Beobachter“, ein Nazi-Blatt, beschimpft Lachmann-Mosse als „volksschädigenden Pressejuden“. Im Hetzblatt „Der Stürmer“ erscheint ein Artikel, der Rudolf Mosse verleumdet.
Enteignung und Emigration
Hans und Felicia Lachmann-Mosse werden massiv unter Druck gesetzt. Die Nazis erpressen ihre Unterschriften, um den Mosse-Verlag in die Rudolf-Mosse-Stiftung GmbH umzuwandeln – der erste Schritt der ‚Arisierung‘ des jüdischen Großkonzerns. Im Gegenzug darf das Ehepaar mit den drei Kindern im Frühjahr 1933 in die Schweiz ausreisen. Sie emigrieren von dort über Frankreich in die USA.
„Die gesamten in Deutschland befindlichen Vermögensobjekte des früheren Alleinbesitzers Lachmann-Mosse sind somit in den Besitz der Rudolf-Mosse-Stiftung G.m.b.H. übergegangen. […] die Rudolf-Mosse-Stiftung beabsichtigt, sich dieser und anderer Vermögensobjekte zu entledigen.“
Die geraubte Kunstsammlung
Zum geraubten Vermögen zählt auch die Kunstsammlung Rudolf Mosses. Die neuen Machthaber bieten der Nationalgalerie an, die Sammlung zu kaufen. Doch dazu kommt es nicht. Alois Schardt, 1933 kommissarischer Leiter des Museums, lehnt ab und zeigt nur Interesse an einzelnen Stücken.
Zwangsversteigerung
Die Kunstsammlung und die gesamte Einrichtung des Mosse-Palais werden schließlich 1934 in zwei Auktionen in Berlin versteigert. Die Auktionsergebnisse übertreffen alle Erwartungen und bringen den Nationalsozialisten Millionen ein.
Kriegszerstörungen
Am Ende des Krieges liegt das Mosse-Palais in Trümmern. Aber zwischen den zerborstenen Wänden liegt immer noch der Löwe. Er wird geborgen und zur Museumsinsel gebracht, wo er viele Jahre in der Alten Nationalgalerie steht.
„Großer liegender Panther […] aus einem Garten in der Voßstraße“. Aus der „Provenienzspur“ in der App der Alten Nationalgalerie, Berlin.
© Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Restitution
Im Zuge ihrer Provenienzforschung werden die Staatlichen Museen zu Berlin auf mehrere Kunstwerke aufmerksam, die aus der Sammlung von Rudolf und Emilie Mosse stammen. 2015 und 2016 werden sie an die Erben der Familie restituiert.
Drei Werke können zurückgekauft werden und befinden sich noch heute auf der Museumsinsel. Darunter auch der Löwe, der einst im Hof des Mosse-Palais die Besucher:innen begrüßte.
Eine Tonne Marmor – Translokation einer Plastik durch sechs politische Systeme. Aus der „Provenienzspur“ in der App der Alten Nationalgalerie, Berlin. © Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Auch die Staatsbibliothek zu Berlin kann in ihrem Bestand Werke identifizieren, die aus dem Besitz der Mosses stammen. Sie gibt 45 Bücher und das „Album Amicorum“ zurück.
Dieses Album enthält die persönlichen Glückwünsche von Freund:innen und Wegbegleiter:innen zu Rudolf Mosses 70. Geburtstag. Es ist ein besonderes Zeugnis seines Netzwerks und zeigt die Bedeutung, die Mosse im Berliner Wirtschafts- und Geistesleben seiner Zeit hatte.
Beitrag des Rundfunks Berlin-Brandenburg über Rudolf Mosse
Weitere Links
Eintrag auf Proveana: Sammlung Mosse →
Mosse Art Research Initiative →
Pressemitteilung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, 12. Februar 2015 →
Pressemitteilung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, 1. Dezember 2016 →
Michael Bienert und Elke Linda Buchholz: Reklamegeschäft und Sammellust: Der Verleger Rudolf Mosse →
Sven Felix Kellerhoff: Der Löwe des Königs →
„Susanna“, Begas, Mosse – Die Geschichte hinter dem Objekt →
Yvette Deseyve und Emily Oberkönig: Susannas lange Reise: Auf den Spuren der Sammlung Mosse →
Petra Winter: Palais Mosse – Leipziger Platz 15 / Voßstraße 22 →