Ein märchenhafter Aufstieg
Die Rothschilds. Von der Frankfurter Judengasse, wo der Begründer der Dynastie, Mayer Amschel Rothschild (1744-1812) ein kleines Geschäft betreibt, in die höchsten Höhen der internationalen gesellschaftlichen Elite legt die Familie innerhalb kürzester Zeit einen schwindelerregenden Aufstieg hin, der für Aufsehen, Legendenbildungen und Neid sorgt.
Das Stammhaus der Rothschild’schen Bank ist in Frankfurt, doch lassen sich vier Rothschild-Brüder Anfang des 19. Jahrhunderts in führenden Finanzzentren Europas nieder – London, Paris, Wien und Neapel. Sie handeln mit Wertpapieren und finanzieren große staatliche Unternehmungen – Eisenbahnbau, Truppenbesoldungen für das britische Militär, den Suezkanal, um nur einige Beispiele zu nennen.
Salomon Rothschild begründet 1820 den österreichischen Zweig und wird rasch der führende Finanzunternehmer Österreichs.
Einsatz für das Judentum
Die Rothschilds fühlen sich ihrem Glauben sehr verbunden, Konvertieren kommt für sie nicht in Frage. Sie setzen sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen von Jüdinnen und Juden in ein, nicht nur in ihrer Heimatstadt Frankfurt oder in den Ländern, wo sie unternehmerisch tätig sind, sondern auch in anderen Ländern wie Rumänien oder Syrien. Teile ihres Vermögens spenden sie an wohltätige Einrichtungen. So werden mit ihrer Unterstützung das Israelitische Krankenhaus, das Blindeninstitut und die Taubstummenanstalt errichtet.
Alphonse von Rothschild, Jurist, Philatelist, Kunstliebhaber und Familienvater
Einer der Urenkel Salomons ist der 1878 geborene Alphonse Mayer von Rothschild. Er hat vier Brüder, von denen der zwei Jahre jüngere Louis Nathaniel das Bankgeschäft übernimmt. Im österreichischen Zweig der Familie Rothschild ist es üblich, dass die Verantwortung für das Bankhaus nicht aufgeteilt, sondern einem einzigen Erben übertragen wird. So ist Alphonse frei, seinen Neigungen nachzugehen. Er studiert Jura, übt den Beruf aber nie aus. Er liebt die klassische Literatur und Kunst und besitzt eine berühmte Briefmarkensammlung. In Wien residiert er in einem Stadtschloss in der Theresianumgasse.
Im Jahr 1912 heiratet Alphonse die Engländerin Clarice Sebag-Montefiore. Nur zwei Jahre sind dem Ehepaar vergönnt, dann bricht der Erste Weltkrieg aus, und Alphonse muss an die Ostfront. Bis September 1918, fast die gesamte Dauer des Krieges, ist er im Einsatz. Für seine Verdienste wird er mit der Kaiserlich-Ottomanischen Kriegsmedaille ausgezeichnet.
Drei Kinder haben die Rothschilds. 1922 kommt der Sohn Albert Anselm Salomon Nimrod zur Welt. Es folgen 1924 die Tochter Bettina Jemima und schließlich 1927 Gwendoline Charlotte.
Alphonse setzt die Familientradition fort, sich für wohltätige Zwecke zu engagieren. Er ist Präsident der Nathaniel Freiherr von Rothschild’schen Stiftung für Nervenkranke in Wien. Und er setzt gemeinsam mit seiner Frau Clarice die Familientradition des Kunstsammelns fort. Die geerbte Sammlung erweitert er, baut sogar noch einen Seitenflügel an das Palais in der Theresianumgasse.
Durch Erbschaft kommt auch das berühmte Gemälde der Madame de Pompadour in seinen Besitz. Die Rothschild-Familie liebt die Kultur des französischen Königshofs des 18. Jahrhunderts, viele Familienmitglieder sammeln Möbel, Tapisserien und Gemälde des Rokokko. So besitzt der französische Zweig der Familie Rothschild ebenfalls ein Porträt der Madame de Pompadour, die eigenhändige Replik von François Boucher, die auf den ersten Blick identisch scheint.
Die Weltwirtschaftskrise setzt auch den Rotschilds zu. Ironischerweise erreicht der Mythos über die Macht der Familie gerade da ihren Höhepunkt, und sie wird in Deutschland und Österreich zur Zielscheibe von Hasspropaganda von Radikalen des gesamten politischen Spektrums.
Hitlers Hassobjekt
Hass auf die Rothschilds hat seit den Anfängen der NSDAP zur Rhetorik gehört, Adolf Hitler verbreitet schon 1921 im „Völkischen Beobachter“ seine Verschwörungstheorien über sie. Nach der Machtübernahme wird dieser Hass in Aktion übersetzt. Die Frankfurter Familie muss um ihr Leben fliehen.
Durch die Vorgänge im Nachbarland beunruhigt, versucht Alphonse von Rothschild, seine Kunstsammlung ins Ausland zu bringen. Dies ist aus Gründen des 1918 erlassenen Ausfuhrverbotsgesetzes schwierig, doch Anfang 1938 einigt er sich mit der Denkmalschutzbehörde. Aber dann übernimmt Hitler auch in Österreich die Macht. Gleich nach dem Einmarsch deutscher Truppen am 12. März 1938 beginnt die Verdrängung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung und die Plünderung der bedeutenden jüdischen Kunstsammlungen in Wien. Da die Rothschilds so prominent sind, trifft es sie als eine der ersten. Bereits am Tag nach dem Einmarsch sucht die SS nach Mitgliedern der Familie. Louis von Rothschild wird verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Seine Besitztümer und seine Firmen werden ihm abgepresst.
Die Kunstsammlungen werden geplündert
Aber worauf es die Nationalsozialisten vor allem abgesehen haben, sind die Kunstschätze der Rothschilds.
Am 14. März 1938 wird das Palais von Alphonse und Clarice von Rothschild versiegelt, die Kunstwerke von der Gestapo beschlagnahmt und ins Depot des Kunsthistorischen Museums in der Hofburg gebracht. Dabei ist auch das berühmte Porträt der Madame de Pompadour.
Die Vorstände und Mitarbeiter:innen des Kunsthistorischen Museums sind vor dem Anschluss mit den Rothschilds freundschaftlich bekannt, beraten sie bei der Entwicklung ihrer Sammlung, werden von Rothschilds finanziell gefördert. Nun nutzen die Museumsleute ihr Wissen über die Rothschild’schen Sammlungen, um die Beschlagnahmeaktion zu unterstützen.
Die Beute wird verteilt
Ein monatelanger Kampf um die Beute setzt ein. Heinrich Himmler möchte gleich alle Kunstwerke nach Berlin oder München bringen. Dies scheitert am vehementen Widerstand der Wiener Kulturverwaltung. Allzusehr möchten die Nationalsozialisten die „Ostmark“ und die Hauptstadt Wien dann doch nicht verprellen, weswegen der Großteil der Raubkunst in Österreich belassen wird. Das von Hitler geplante Führermuseum in Linz soll mit besonders repräsentativen Stücken bedacht werden. Die übrigen Kunstgegenstände werden österreichischen Museen angeboten, sie dürfen ihre „Wunschobjekte“ anmelden.
Zentral in diesen Verteilungskämpfen agiert bis zu seinem Tod 1942 Hans Posse, der langjährige Direktor der Gemäldegalerie Dresden, der das Führermuseum konzipiert. Er entscheidet in persönlicher Abstimmung mit Adolf Hitler, wer was erhält.
n seinem Reisetagebuch schreibt Posse am 23. Juli 1939: „Wien soll einen Teil der französ. Bilder (darunter die Pompadour von Boucher Fragonard) sowie sämtliche Englische Bilder erhalten. In allem übrigen haben in 1. Linie Linz, in 2. Innsbruck den Vorzug.“ Mit „Wien“ ist das Kunsthistorische Museum in Wien gemeint, das schon länger diesen Anteil aus den jüdischen Sammlungen forderte.
Alphonse und Clarice von Rothschild sind zum Zeitpunkt des „Anschlusses“ gerade mit ihrem Sohn Albert in London. Es ist ihnen zu gefährlich, nach Wien zurückzureisen. Doch dort sind noch die Töchter Bettina und Gwendoline, elf und dreizehn Jahre alt. Die Eltern weisen sie an, sofort in die Schweiz zu fliehen. Dort werden sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder wieder vereint. Dann kommt der nächste Schicksalsschlag: Albert stirbt kurz vor seinem sechzehnten Geburtstag an Krebs.
Weil sie sich mit dem Vormarsch der deutschen Wehrmacht in Europa nicht mehr sicher fühlen, emigrieren die Rothschilds weiter in die USA. Im Sommer 1942 mieten sie ein Haus in Bar Harbor, einem beliebten Ferienort an der Atlantikküste. Dort erleidet Alphonse von Rothschild einen Herzanfall und stirbt im September 1942.
Erzwungene „Widmungen“
Nach dem Krieg bleibt die Familie Rothschild in den USA. Clarice von Rothschild beantragt von dort aus die Rückgabe ihrer Kunstschätze und ihrer Immobilien. Zunächst wird ihr Gesuch dadurch erschwert, dass ihre Wiener Immobilien in dem Gebiet liegen, das zur sowjetischen Besatzungszone gehört. Clarice kann sich darauf berufen, britische Staatsangehörige zu sein und damit einer Nation anzugehören, die ein Alliierter der Sowjetunion ist. Sie erhält die Immobilien zurück. Das Palais in der Theresianumgasse ist im Krieg so zerstört worden, dass es abgebrochen werden muss. Auch die Kunstwerke werden restituiert. Doch um sie in die USA ausführen zu dürfen, muss Clarice einen hohen Preis zahlen: Über 200 Kunstwerke muss sie als „Widmung“ an österreichische Museen abgeben. Denn die Republik Österreich beruft sich auf das Ausfuhrverbotsgesetz für national wertvolle Kunstgegenstände.
Das Gemälde von Boucher kann Clarice von Rothschild schließlich in die USA bringen. Sie gibt es Jahrzehnte später in New York in den Handel. Die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank erwirbt es 1971 und überlässt es als Dauerleihgabe der Alten Pinakothek in München, wo die Madame de Pompadour das Glanzstück der französischen Abteilung ist.
Kurioserweise befand sich die Replik des berühmten Boucher-Gemäldes am Ende des Zweiten Weltkriegs nur ein paar Schritte entfernt. Sie war während der deutschen Besatzung Frankreichs von dem französischen Zweig der Rothschilds geraubt worden. US-Truppen stellten sie in einem Depot sicher, brachten sie in den Münchener Central Collecting Point und restituierten sie an die rechtmäßigen Besitzer.
Die Institutionen, die von dem Kunstraub profitierten, finden ihr Festhalten an den Kulturgütern der Rothschilds lange legitim und weisen Rückgabeforderungen zurück. Doch Ende der 1990er Jahre beginnt ein Umdenken, ausgelöst durch die Beschlagnahmung zweier Gemälde von Egon Schiele durch die New Yorker Staatsanwaltschaft. Die Kunstwerke waren für eine Sonderaustellung aus dem Wiener Leopold Museum nach New York ausgeliehen worden, standen aber unter Raubkunstverdacht. Daraufhin beschließt das österreichische Bundesministerium für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten, Sammlungen und Archive systematisch auf Raubkunst zu untersuchen.
Schon vor der Washingtoner Konferenz zu Raubkunst wird in Österreich ein Kunstrückgabegesetz entworfen, das zeitgleich mit den Washingtoner Prinzipien im Spätherbst 1998 verabschiedet wird. Seitdem können zahlreiche Kunstwerke restituiert werden. Das Rückgabegesetz schließt auch Kunstwerke mit ein, die ihren rechtmäßigen Besitzer:innen geraubt wurden, aber nach dem Krieg als „Widmung“ in Museen verblieben – eine erzwungene Schenkung als Bedingung, damit die geflohenen jüdischen Menschen ihr Eigentum zu sich ins Ausland holen durften.
Dank dieser neuen Gesetzeslage erhalten die Erb:innen nach Clarice und Alphonse von Rothschild zahlreiche Objekte zurück. 186 von ihnen kann man heute im Museum of Fine Arts in Boston bewundern – als Schenkung der Nachfahr:innen an das Museum. Darunter befinden sich auch vierzehn Objekte, die für das Führermuseum in Linz vorgesehen waren. Ein bemerkenswerter Schlusspunkt der Geschichte einer Sammlung, die im frühen 19. Jahrhundert ihren Anfang nahm und durch das Gewaltregime der Nationalsozialisten zerrissen und zerstört wurde.