Sammeln mit Spürsinn
Fast jedes Blatt bekommt einen Stempel. Carl Heumann kennzeichnet neu erworbene Werke als Teil seiner Sammlung. Er beschäftigt sich intensiv mit seiner Kunst, führt sorgfältig Katalog und ist immer auf der Suche nach neuen Errungenschaften.
Carol Heumann Snider, Carls Enkeltochter
Aus der Sammlung Heumann:
So trägt er eine große und bedeutende Sammlung zusammen. Sie umfasst deutsche und österreichische Zeichnungen, Aquarelle und Druckgrafiken des 18. und 19. Jahrhunderts.
Vor allem gilt er als Kenner für die Zeichenkunst der Deutschrömer und Nazarener, zweier wichtiger Kunstströmungen dieser Zeit.
Aus Erhard Göpel: Abseits der Heerstraße. Die Sammlung Konsul Heumann unter dem Hammer, in: Nationale Zeitung, Basel, 18. November 1957
„Wer sich in den zwanziger Jahren mit der Zeichenkunst der Nazarener beschäftigte, traf früher oder später auf den Sammler Konsul Heumann …“
Der Kunsthistoriker Erhard Göpel, 1957
Freund und Förderer der Museen
Carl Heumanns Sammlung ist auch in der Museumswelt bekannt. Immer wieder wird er um Leihgaben für Ausstellungen gebeten, unter anderem auch von der Berliner Nationalgalerie. Mehrmals bestückt er ganze Ausstellungen mit Werken aus seinem Besitz.
Besonders verbunden ist Heumann mit Chemnitz, wo er sich niederlässt und eine Familie gründet. Bis 1934 schenkt er den Chemnitzer Kunstsammlungen 90 Kunstwerke auf Papier.
Leben am Chemnitzer Kaßberg
In Köln geboren
Carl Heumann kommt 1886 in Köln zur Welt. Er ist der älteste von vier Brüdern. Die Familie ist jüdisch, doch Carl Heumann nimmt 1917 im Alter von 31 Jahren den evangelischen Glauben an.
In Chemnitz tätig
1908 zieht Carl Heumann nach Chemnitz. Er arbeitet dort beim Bankhaus Bayer & Heinze in der Inneren Johannisstraße, mitten in der Innenstadt.
1920 wird Heumann Mitinhaber der Bank.
Familienglück
1919 heiratet Carl Heumann Irmgard Buddecke, die evangelisch ist. Das Paar bekommt drei Kinder, Rainer (geb. 1923), Thomas (geb. 1928) und Ulrike (geb. 1932).
Die Heumanns gelangen zu Ansehen und Wohlstand.
1925 zieht die Familie in eine Villa in der Reichsstraße 10 im vornehmen Stadtteil Kaßberg.
Hier hängen einige von Carl Heumanns Kunstwerken an den Wänden. Die meisten der lichtempfindlichen Blätter bewahrt er jedoch in Mappen und Grafikschränken auf, um sie vor Sonneneinstrahlung zu schützen.
1929 wird Carl Heumann zum Vizekonsul von Portugal ernannt. Extra für ihn wird in Chemnitz ein Vizekonsulat eingerichtet.
Schritt für Schritt entrechtet
Gefährlicher Trugschluss
Die Situation spitzt sich zu. Carls jüngere Brüder Edgar und Wilhelm Heumann emigrieren 1938 in die USA. Sie versuchen, Carl zum Mitkommen zu bewegen. Der aber glaubt sich in Deutschland sicher.
zitiert Thomas Heumann später seinen Vater Carl.
Doch Heumann wird Schritt für Schritt aus dem Bankhaus gedrängt, dessen Mitgesellschafter er ist. Am 31. Dezember 1939 muss er ganz ausscheiden.
Auf sein Bankschließfach darf er nur noch mit Genehmigung und in Gegenwart eines Zollbeamten zugreifen.
Heumanns Bankkonten werden gesperrt. Da er in einer ‚privilegierten Mischehe‘ lebt, bekommt er monatlich 3.000 Reichsmark für den Lebensunterhalt zur Verfügung.
Außerdem muss Heumann sein Vermögen offenlegen und eine Judenvermögensabgabe in Höhe von 55.000 Reichsmark zahlen.
In dieser Zeit wird Carl Heumann auch das Amt als Konsul entzogen. Das eigens für ihn eingerichtete portugiesische Vizekonsulat in Chemnitz wird geschlossen und Heumanns Tätigkeit zum 1. September 1939 beendet. Den Titel ‚Konsul‘ darf er weiter tragen.
Im Schutz der Dunkelheit
Nach all den Schikanen zieht sich Carl Heumann ganz in sein Privatleben zurück. Er verlässt kaum noch das Haus und schränkt seine Kontakte mit der Außenwelt ein.
Über Mittelsmänner kauft und verkauft er aber bis in die Kriegsjahre hinein weiter Kunstwerke, um seine Sammlung zu verfeinern.
Irmgard Heumann an ihre Mutter Adele, 25. Februar 1940 (Familienarchiv)
„Die Sammlung ist sein ‚Geisteskind‘, er ist ihr Schöpfer und ihr Bildner, und findet Genüge darin. Muß Genüge darin finden.“
Um seine Kunstsammlung vor dem Zugriff der Nazis zu schützen, überschreibt Carl sie im Oktober 1940 an seine Ehefrau Irmgard.
Unterstützung erfährt Carl Heumann von Waldemar Ballerstedt. Ballerstedt hat in der NS-Zeit verschiedene Posten im Chemnitzer Kulturleben inne. Seit 1936 ist er Städtischer Kulturrat mit Dienstzimmer im König-Albert-Museum. Er ermöglicht Heumann, bei Einbruch der Dunkelheit heimlich die Städtischen Kunstsammlungen zu besuchen.
„Man traf ihn nur in der Dämmerung …“
Waldemar Ballerstedt an die ihm befreundete Schauspielerin Ina Seidel, 12. Februar 1960 (Stadtarchiv Chemnitz, O 01 Nachlass Waldemar Ballerstedt, Sign. 14)
Waldemar Ballerstedt (1893–1967) ist schon vor Hitlers Machtübernahme Mitglied der NSDAP und der SS.
Trotzdem macht er nach dem Krieg geltend, dass er verfolgten Antifaschisten Zuflucht gewährt und Chemnitzer Juden vor der Deportation beschützt habe.
Auch für Carl Heumann setzt sich Ballerstedt angeblich immer wieder ein. Ende 1944 soll er ihm bei Gefahr Unterschlupf in seinem Wochenendhaus angeboten haben.
Aus der Eidesstattlichen Erklärung von Emmi Mahr, 6. Oktober 1959 (Stadtarchiv Chemnitz, O 01, Nachlass Waldemar Ballerstedt, Sign. 07)
Nach dem Krieg wird Ballerstedt von den Sowjets festgenommen und interniert. 1950 wird er den DDR-Behörden übergeben und wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu 18 Jahren Haft verurteilt. Nach zehn Jahren kann er das Gefängnis vorzeitig verlassen.
Am 7. Januar 1944 stirbt Irmgard Heumann an einem Hirntumor. Carl Heumann verliert dadurch den Schutz durch die ‚privilegierte Mischehe‘.
Nach Irmgards Tod
Wie es Carl Heumann danach erging und warum er von der Deportation verschont bleibt, ist nicht bekannt.
Nach dem Krieg schreibt Ballerstedt über diese Zeit: „So blieb er, ein unverbesserlicher Optimist bei alledem, ruhig in seiner Villa und katalogisierte seine Sammlungen sorgfältig weiter…“
Ulrike, beim Tod der Mutter 12 Jahre alt, wird zu ihrer eigenen Sicherheit in die Obhut ihres nichtjüdischen Onkels gegeben.
Die beiden Söhne Rainer und Thomas, damals 21 und 16 Jahre alt, werden im November 1944 in Arbeitslager eingewiesen.
Zwischen Februar und April 1945 verschärfen die Alliierten ihre Luftangriffe auf die Industriestadt Chemnitz.
Die Villa Heumann wird am 5. März 1945 von einer Sprengbombe getroffen. Carl Heumann versucht, einen Koffer mit seinen geliebten Zeichnungen aus dem Keller des brennenden Hauses zu retten, und kommt dabei ums Leben.
Restitution
Ankäufe der Nationalgalerie
Die Berliner Nationalgalerie erwirbt zwei Kunstwerke aus der Sammlung Heumann: 1942 im Leipziger Auktionshaus C. G. Boerner das Bildnis des Architekten Friedrich August Stüler, und 1944 im Münchener Auktionshaus Karl & Faber die „Teufelsbrücke“.
Sammlerstempel als Provenienzmerkmal
Dank der Stempel, mit denen Carl Heumann seine Blätter kennzeichnete, können sie heute eindeutig seiner Sammlung zugeordnet werden. Das Stüler-Porträt trägt auf der Rückseite gleich zwei. Zuerst verwendet Heumann das Monogramm „CH“, später wechselt er zur „blauen Blume der Romantik“.
Eine gerechte und faire Lösung
Die Zeichnung „Teufelsbrücke“ wird 2022 restituiert, das Stüler-Porträt bleibt im Kupferstichkabinett in Berlin.
Darauf verständigt sich die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit den in den USA lebenden Erben Carl Heumanns. Dies erfolgt vor dem Hintergrund, dass Heumann bis zum Tod seiner Ehefrau im Januar 1944 über einen gewissen Schutz sowie über Mittel verfügte, um weiter zu sammeln.
Auch das Münchner Lenbachhaus, die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und die Kunstsammlungen Chemnitz geben Werke aus der Sammlung Heumann an die Familie zurück.
Carol Heumann Snider, die Enkelin von Carl Heumann, macht es sich zur Aufgabe, die Geschichte ihres Großvaters zu erzählen. Sie hat bereits ein Buch und einen Blog veröffentlicht.
„Wenn Kunst zurückgegeben wird, fühle ich mich mit ihm verbunden. Als hätte unsere Generation eine Verbindung zu diesem Großvater, der uns genommen worden ist.“
Beitrag des rbb über Carl Heumann