Sammeln mit Spürsinn

Zwei Stempel auf kräftigem Papier
Sammlerstempel von Carl Heumann auf dem Stüler-Porträt im Berliner Kupferstichkabinett.

Hanna Strzoda

Fast jedes Blatt bekommt einen Stempel. Carl Heumann kennzeichnet neu erworbene Werke als Teil seiner Sammlung. Er beschäftigt sich intensiv mit seiner Kunst, führt sorgfältig Katalog und ist immer auf der Suche nach neuen Errungenschaften.

„Er liebte seine Kunst, sie war ihm wie ein Freund, glaube ich.“

Carol Heumann Snider, Carls Enkeltochter

Aus der Sammlung Heumann:

Zeichnung eines jungen Mannes, der seinen Kopf in die rechte Hand stützt.
Eduard Julius Friedrich Bendemann: Junger Mann, trauernd. Schenkung von Carl und Thomas Heumann an die Kunstsammlungen Chemnitz.

Kunstsammlungen Chemnitz/PUNCTUM/Bertram Kober 🔍 Über das Bild mit der Maus fahren, um zu vergrößern

Farbiges Bild mit großen Bäumen vor blauem, bewölkten Himmel
Friedrich Salathé: Italienische Landschaft mit Bäumen, 1815-1821.

Metropolitan Museum of Art, Harry G. Sperling Fund, 2004 🔍 Über das Bild mit der Maus fahren, um zu vergrößern

Zeichnung. Uferlandschaft mit großen Bäumen und einem Boot
Albert Emil Kirchner: Fischerweide, 1854. Vom Lenbachhaus 2022 restituiert.

Städtische Galerie im Lenbachhaus. Public Domain 🔍 Über das Bild mit der Maus fahren, um zu vergrößern

So trägt er eine große und bedeutende Sammlung zusammen. Sie umfasst deutsche und österreichische Zeichnungen, Aquarelle und Druckgrafiken des 18. und 19. Jahrhunderts.

Vor allem gilt er als Kenner für die Zeichenkunst der Deutschrömer und Nazarener, zweier wichtiger Kunstströmungen dieser Zeit.

Aus Erhard Göpel: Abseits der Heerstraße. Die Sammlung Konsul Heumann unter dem Hammer, in: Nationale Zeitung, Basel, 18. November 1957

„Wer sich in den zwanziger Jahren mit der Zeichenkunst der Nazarener beschäftigte, traf früher oder später auf den Sammler Konsul Heumann …“

Der Kunsthistoriker Erhard Göpel, 1957

Ausschnitt aus Zeitung
1930 ist eine Ausstellung im Städtischen Museum Chemnitz der „Sammlung Konsul Heumann“ gewidmet. Zeitungsausschnitt vom 15. Mai 1930.

Dresdner Nachrichten, über chemnitz-gestern-heute.de 🔍 Über das Bild mit der Maus fahren, um zu vergrößern

Freund und Förderer der Museen

Carl Heumanns Sammlung ist auch in der Museumswelt bekannt. Immer wieder wird er um Leihgaben für Ausstellungen gebeten, unter anderem auch von der Berliner Nationalgalerie. Mehrmals bestückt er ganze Ausstellungen mit Werken aus seinem Besitz.

Besonders verbunden ist Heumann mit Chemnitz, wo er sich niederlässt und eine Familie gründet. Bis 1934 schenkt er den Chemnitzer Kunstsammlungen 90 Kunstwerke auf Papier.

Leben am Chemnitzer Kaßberg

Schwarzweißfotografie. Gruppenporträt der Geschwister Carl, Hans, Wilhelm und Edgar als Kinder. Alle tragen einheitliche Anzüge.
Die Brüder Carl, Hans, Wilhelm und Edgar Heumann (v. l. n. r.), um 1895.

Familienarchiv

In Köln geboren

Carl Heumann kommt 1886 in Köln zur Welt. Er ist der älteste von vier Brüdern. Die Familie ist jüdisch, doch Carl Heumann nimmt 1917 im Alter von 31 Jahren den evangelischen Glauben an.

In Chemnitz tätig

1908 zieht Carl Heumann nach Chemnitz. Er arbeitet dort beim Bankhaus Bayer & Heinze in der Inneren Johannisstraße, mitten in der Innenstadt.

1920 wird Heumann Mitinhaber der Bank.

Schwarzweißfotografie des Brautpaares Carl und Irmgard Heumann.
Carl und Irmgard Heumann, 1919.

Schwarzweißfotografie. Porträt der Mutter Irmgard Heumann mit dem fünfjährigen Sohn Rainer und dem neugeborenen Thomas.
Irmgard Heumann mit ihren Söhnen Rainer und Thomas, 1928.

Schwarzweißfotografie. Vater Carl Heumann mit dem sechsjährigen Rainer und dem einjährigen Thomas.
Carl mit seinen Söhnen Rainer und Thomas, 1929.

Schwarzweißfotografie der Familie Heumann am Wohnzimmertisch. Thomas, Irmgard, Carl, Ulrike und Rainer in gepflegter Kleidung.
Familie Heumann, um 1940.

Alle Fotos: Familienarchiv

Familienglück

1919 heiratet Carl Heumann Irmgard Buddecke, die evangelisch ist. Das Paar bekommt drei Kinder, Rainer (geb. 1923), Thomas (geb. 1928) und Ulrike (geb. 1932).

Schwarz-Weiß-Fotografie. Stattliche zweistöckige Villa, im Vordergrund ein großer Baum.
Wohnsitz der Heumanns in der Reichsstraße 10, Chemnitz.

Familienarchiv

Die Heumanns gelangen zu Ansehen und Wohlstand.

1925 zieht die Familie in eine Villa in der Reichsstraße 10 im vornehmen Stadtteil Kaßberg.

Schwarz-Weiß-Fotografie. Innenraum mit Bücherwand, Sessel, Teppichen und Bild in Rahmen an der Wand
Raum in der Villa Heumann mit dem Porträt Ginellis an der linken Wand.

Familienarchiv

Zeichnung. Porträt eines älteren Mannes, der nach unten blickt
Bonaventura Ginelli: Porträt Hans Christian Ginelli, Onkel des Künstlers, 1814.

Familienarchiv

Hier hängen einige von Carl Heumanns Kunstwerken an den Wänden. Die meisten der lichtempfindlichen Blätter bewahrt er jedoch in Mappen und Grafikschränken auf, um sie vor Sonneneinstrahlung zu schützen.

Ausschnitt aus Zeitung
Zeitungsausschnitt vom 14. September 1929.

Dresdner Nachrichten, über chemnitz-gestern-heute.de

1929 wird Carl Heumann zum Vizekonsul von Portugal ernannt. Extra für ihn wird in Chemnitz ein Vizekonsulat eingerichtet.

Schritt für Schritt entrechtet

Plakat in schwarz-weiß mit alter Druckschrift
Bekanntmachung: Wahlberechtigung zur Reichstagswahl, März 1936.

Bundesarchiv, Plak 003-001-009 🔍 Über das Bild mit der Maus fahren, um zu vergrößern

Carl Heumann steht mit 46 Jahren mitten im Berufsleben, als Hitler an die Macht kommt. Im September 1935 werden die ‚Nürnberger Gesetze‘ erlassen, nach denen er plötzlich als ‚Volljude‘ gilt.

Kurz darauf wird ihm das Wahlrecht aberkannt.

Schwarz-Weiß-Fotografie. Großer Container aus Holz auf Fahrgestell
Umzugswagen von emigrierenden Juden mit Ziel New York, 1939.

Bundesarchiv, Bild 183-E03468

Gefährlicher Trugschluss

Die Situation spitzt sich zu. Carls jüngere Brüder Edgar und Wilhelm Heumann emigrieren 1938 in die USA. Sie versuchen, Carl zum Mitkommen zu bewegen. Der aber glaubt sich in Deutschland sicher.

„Ich habe im Weltkrieg gedient, habe das Eiserne Kreuz II. Klasse, bin Christ, angesehen in der Stadt und habe nie etwas Illegales getan, ich lebe in einer ‚privilegierten Mischehe‘ – die können mir nichts tun!“,

zitiert Thomas Heumann später seinen Vater Carl.

Identitätsausweis

Identitätsausweis, Innenseite mit Passfoto
1938 wird Carl Heumann als Pass eine sogenannte Juden-Kennkarte ausgestellt. Seinem Vornamen ist hier „Israel“ vorangestellt. So werden damals alle jüdischen Männer gekennzeichnet.

Familienarchiv

Doch Heumann wird Schritt für Schritt aus dem Bankhaus gedrängt, dessen Mitgesellschafter er ist. Am 31. Dezember 1939 muss er ganz ausscheiden.

Auf sein Bankschließfach darf er nur noch mit Genehmigung und in Gegenwart eines Zollbeamten zugreifen.

Heumanns Bankkonten werden gesperrt. Da er in einer ‚privilegierten Mischehe‘ lebt, bekommt er monatlich 3.000 Reichsmark für den Lebensunterhalt zur Verfügung.

Außerdem muss Heumann sein Vermögen offenlegen und eine Judenvermögensabgabe in Höhe von 55.000 Reichsmark zahlen.

In dieser Zeit wird Carl Heumann auch das Amt als Konsul entzogen. Das eigens für ihn eingerichtete portugiesische Vizekonsulat in Chemnitz wird geschlossen und Heumanns Tätigkeit zum 1. September 1939 beendet. Den Titel ‚Konsul‘ darf er weiter tragen.

Im Schutz der Dunkelheit

Nach all den Schikanen zieht sich Carl Heumann ganz in sein Privatleben zurück. Er verlässt kaum noch das Haus und schränkt seine Kontakte mit der Außenwelt ein.

Über Mittelsmänner kauft und verkauft er aber bis in die Kriegsjahre hinein weiter Kunstwerke, um seine Sammlung zu verfeinern.

Irmgard Heumann an ihre Mutter Adele, 25. Februar 1940 (Familienarchiv)

„Die Sammlung ist sein ‚Geisteskind‘, er ist ihr Schöpfer und ihr Bildner, und findet Genüge darin. Muß Genüge darin finden.“

Um seine Kunstsammlung vor dem Zugriff der Nazis zu schützen, überschreibt Carl sie im Oktober 1940 an seine Ehefrau Irmgard.

Schwarz-Weiß-Fotografie. Repräsentatives großes Gebäude
König-Albert-Museum, um 1910.

Kunstsammlungen Chemnitz/Archiv

Unterstützung erfährt Carl Heumann von Waldemar Ballerstedt. Ballerstedt hat in der NS-Zeit verschiedene Posten im Chemnitzer Kulturleben inne. Seit 1936 ist er Städtischer Kulturrat mit Dienstzimmer im König-Albert-Museum. Er ermöglicht Heumann, bei Einbruch der Dunkelheit heimlich die Städtischen Kunstsammlungen zu besuchen.

Gemälde, das eine Stadt zeigt, im Hintergrund Hügel
Alfred Kunze: Dämmerung, Blick von der Villa Rudert am Rande des Kaßbergs in Chemnitz, 1919.

Kunstsammlungen Chemnitz/Jürgen Seidel

„Man traf ihn nur in der Dämmerung …“

Waldemar Ballerstedt an die ihm befreundete Schauspielerin Ina Seidel, 12. Februar 1960 (Stadtarchiv Chemnitz, O 01 Nachlass Waldemar Ballerstedt, Sign. 14)

Schwarz-Weiß-Fotografie. Mann mit Brille in Uniform
Waldemar Ballerstedt (1893–1967).

Programmheft der Städtischen Theater Chemnitz, Februar 1935, über chemnitz-gestern-heute.de

Waldemar Ballerstedt: Schutz durch einen SS-Mann?

Waldemar Ballerstedt (1893–1967) ist schon vor Hitlers Machtübernahme Mitglied der NSDAP und der SS.

Trotzdem macht er nach dem Krieg geltend, dass er verfolgten Antifaschisten Zuflucht gewährt und Chemnitzer Juden vor der Deportation beschützt habe.

Auch für Carl Heumann setzt sich Ballerstedt angeblich immer wieder ein. Ende 1944 soll er ihm bei Gefahr Unterschlupf in seinem Wochenendhaus angeboten haben.

Aus der Eidesstattlichen Erklärung von Emmi Mahr, 6. Oktober 1959 (Stadtarchiv Chemnitz, O 01, Nachlass Waldemar Ballerstedt, Sign. 07)

Nach dem Krieg wird Ballerstedt von den Sowjets festgenommen und interniert. 1950 wird er den DDR-Behörden übergeben und wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu 18 Jahren Haft verurteilt. Nach zehn Jahren kann er das Gefängnis vorzeitig verlassen.

Todesanzeige
Todesanzeige Irmgard Heumann, 1944.

Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, I/NG 964, Bl. 13 🔍 Über das Bild mit der Maus fahren, um zu vergrößern

Am 7. Januar 1944 stirbt Irmgard Heumann an einem Hirntumor. Carl Heumann verliert dadurch den Schutz durch die ‚privilegierte Mischehe‘.

Nach Irmgards Tod

Schwarz-Weiß-Fotografie. Straßenzug mit Bombenschäden
Die Innere Johannisstraße in Chemnitz, im Frühjahr 1945 zerstört.

Aus: Karl-Marx-Stadt – Geschichte der Stadt in Wort und Bild, Berlin 1988, über chemnitz-gestern-heute.de

Wie es Carl Heumann danach erging und warum er von der Deportation verschont bleibt, ist nicht bekannt.

Nach dem Krieg schreibt Ballerstedt über diese Zeit: „So blieb er, ein unverbesserlicher Optimist bei alledem, ruhig in seiner Villa und katalogisierte seine Sammlungen sorgfältig weiter…“

Ulrike, beim Tod der Mutter 12 Jahre alt, wird zu ihrer eigenen Sicherheit in die Obhut ihres nichtjüdischen Onkels gegeben.

Die beiden Söhne Rainer und Thomas, damals 21 und 16 Jahre alt, werden im November 1944 in Arbeitslager eingewiesen.

Zwischen Februar und April 1945 verschärfen die Alliierten ihre Luftangriffe auf die Industriestadt Chemnitz.

Schwarz-Weiß-Fotografie. Zerstörte Villa, nur noch zwei Außenwände stehen
Ebenfalls zerstört: Die Villa Heumann in Chemnitz, 1945.

Familienarchiv

Die Villa Heumann wird am 5. März 1945 von einer Sprengbombe getroffen. Carl Heumann versucht, einen Koffer mit seinen geliebten Zeichnungen aus dem Keller des brennenden Hauses zu retten, und kommt dabei ums Leben.

Restitution

Zeichnung, die einen Mann zeigt
Friedrich Jentzen: Friedrich August Stüler, schwarze Kreide, weiß gehöht, um 1830. Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, aus der Sammlung Carl Heumann.

Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Dietmar Katz. Public Domain Mark 1.0 🔍 Über das Bild mit der Maus fahren, um zu vergrößern

Ankäufe der Nationalgalerie

Die Berliner Nationalgalerie erwirbt zwei Kunstwerke aus der Sammlung Heumann: 1942 im Leipziger Auktionshaus C. G. Boerner das Bildnis des Architekten Friedrich August Stüler, und 1944 im Münchener Auktionshaus Karl & Faber die „Teufelsbrücke“.

Zwei Stempel auf kräftigem Papier
Die Sammlerstempel von Carl Heumann auf der Rückseite des Stüler-Porträts.

Hanna Strzoda

Sammlerstempel als Provenienzmerkmal

Dank der Stempel, mit denen Carl Heumann seine Blätter kennzeichnete, können sie heute eindeutig seiner Sammlung zugeordnet werden. Das Stüler-Porträt trägt auf der Rückseite gleich zwei. Zuerst verwendet Heumann das Monogramm „CH“, später wechselt er zur „blauen Blume der Romantik“.

Bild, das eine Brücke über eine Schlucht zeigt
Johann Jakob Schillinger: Die Teufelsbrücke, um 1800. Restituiert 2022.

bpk / Kupferstichkabinett, SMB / Dietmar Katz 🔍 Über das Bild mit der Maus fahren, um zu vergrößern

Eine gerechte und faire Lösung

Die Zeichnung „Teufelsbrücke“ wird 2022 restituiert, das Stüler-Porträt bleibt im Kupferstichkabinett in Berlin.

Darauf verständigt sich die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit den in den USA lebenden Erben Carl Heumanns. Dies erfolgt vor dem Hintergrund, dass Heumann bis zum Tod seiner Ehefrau im Januar 1944 über einen gewissen Schutz sowie über Mittel verfügte, um weiter zu sammeln.

Auch das Münchner Lenbachhaus, die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und die Kunstsammlungen Chemnitz geben Werke aus der Sammlung Heumann an die Familie zurück.

Farbfotografie. Carol Snider Heumann in ihrem Wohnzimmer, umgeben vom Kamerateam.
Carol Snider Heumann beim Dreh mit dem rbb ...

Thomas Snider

Farbfotografie. Eine Frau hält ein großes gerahmtes Bild
... und mit der restituierten „Teufelsbrücke“, 2023.

rbb

Carol Heumann Snider, die Enkelin von Carl Heumann, macht es sich zur Aufgabe, die Geschichte ihres Großvaters zu erzählen. Sie hat bereits ein Buch und einen Blog veröffentlicht.

„Wenn Kunst zurückgegeben wird, fühle ich mich mit ihm verbunden. Als hätte unsere Generation eine Verbindung zu diesem Großvater, der uns genommen worden ist.“

Beitrag des rbb über Carl Heumann