Galerie Julius Stern: Kunsthandel in einer Kunststadt

Die Galerie Stern in der Königsalle, vor 1937.

Alamy stock photo

Max Stern wächst behütet auf. Mit den älteren Schwestern Hedi und Gerda, in einem Haus voller Kunst, in dem Verwandte und Freund:innen ein und aus gehen. Sein Vater, Julius Stern, hat eigentlich im Textilhandel begonnen, dann aber auf Kunsthandel umgesattelt.

Düsseldorf ist dafür ein gutes Pflaster. Die Kunstakademie zieht viele berühmte Persönlichkeiten an und genießt internationales Renommée, es gibt zahlreiche Museen, eine rege Ausstellungstätigkeit und viele Galerien. Die Königsallee ist der eleganteste Boulevard der Stadt, und hier findet sich seit Juni 1918 die Galerie Julius Stern.

Schwarzweißfotografie. Raum mit großen Gemälden und Skulpturen, Teppiche auf dem Boden.
Ausstellungsraum in der Gemäldegalerie von Julius Stern an der Königsallee 23, um 1926.

Stadtarchiv Düsseldorf, 5_8_0_005_707_001

Julius ist ein richtiger self made man. Mit Mut und Geschick hat er zusammen mit seiner Frau Selma einen florierenden Kunsthandel aufgebaut. Er ist beliebt und anerkannt, unterstützt großzügig die Museen nicht nur in seinem heimischen Düsseldorf, sondern auch in Dresden, Köln und Berlin.

Begegnung mit der Avantgarde

Schwarzweißfotografie. Porträt Marc Chagall, junger Mann mit dunklem lockigen Haar und Schal.
Marc Chagall in den 1920ern.

Pierre Choumoff, Gemeinfrei, via Wikimedia Commons

Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg mit Inflation und Arbeitslosigkeit ist schwierig für den Kunsthandel. Trotzdem lassen Julius und Selma Stern ihren Sohn Max Kunstgeschichte studieren – in Köln, Bonn, Berlin und Wien. Dem Vater, der als Autodidakt in den Kunsthandel eingestiegen ist, ist die Professionalisierung seines Sohnes und Geschäftsnachfolgers sehr wichtig. Als Belohnung für seine mit Summa cum laude abgeschlossene Promotion schenken ihm die Eltern einen Auslandaufenthalt. Max entscheidet sich für Paris. Dort lernt er die Kunst der Avantgarde kennen, besucht das Atelier von Marc Chagall und begeistert sich für den früh verstorbenen Amedeo Modigliani.

Schwarzweißfotografie. Max Stern, junger Mann in Mantel und Anzug, in der rechten Hand ein Aktenkoffer, in der linken Hand Hut und Schirm, auf einer belebten Geschäftsstraße, Passanten im Hintergrund.
Max Stern, ca. 1925.

Anonymous - National Gallery of Canada, Library and Archives, Fonds Max Stern, Public domain, via Wikimedia Commons

Mit diesen Erfahrungen wird er 1928 Teilhaber der elterlichen Kunsthandlung. Sein Einstand: eine erfolgreiche Spitzweg-Ausstellung. Zögerlich lässt sich Vater Julius auch auf die Wünsche des Juniors ein, die moderne französische Kunst in Düsseldorf zu vertreten.

Ausschaltung der jüdischen Kunsthandlungen

Schwarzweißfotografie. Schmiererei mit Hakenkreuz an einem Sakralgebäude.
Antisemitische Schmiererei an der Synagoge in Düsseldorf, 1933.

Bundesarchiv Bildarchiv Bild 183-N0827-322

Sofort nach der Machtübernahme beginnen die Attacken gegen die Familie Stern. Max Sterns Schwester und ihr Mann, der Publizist Siegfried Thalheimer, fliehen schon im Frühjahr ins neutrale Saarland, dann weiter nach Paris. Julius Stern ist über die Vorgänge so erschüttert, dass er schwer erkrankt. Er stirbt im Oktober 1934. Max übernimmt die Geschäfte.

Schwarzweißfotografie. Mehrstöckiges Eckgebäude mit Ladengeschäft im Erdgeschoss.
Garbenstraße an der Ecke zur Königsallee, zur Zeit der Aufnahme Albert-Leo-Schlageter-Allee. Im Hause unten die Geschäftsstelle des NS-Parteiorgans Rheinische Landeszeitung/ Volksparole, oben die jüdische Galerie Stern, 1936.

Stadtarchiv Düsseldorf, 5_8_0_234_313_002/Julius Söhn

Doch im Jahr darauf wird er von der Reichskulturkammer aufgefordert, im Zuge der Ausschaltung jüdischer Kunsthandlungen, sein Geschäft zu schließen. Durch Einspruch kann Max Stern die Schließung bis zum September 1937 hinauszögern. In der Galerie befinden sich noch über 200 Gemälde, die Max Stern im November 1937 im Kunsthaus Lempertz in Köln versteigern lassen muss, da er in Deutschland keine Existenzgrundlage hat und verfolgt wird.

Internierung

Schwarzweißfotografie. Uniformierte vor Stacheldrahtzaun, dahinter mehrere zivil gekleidete Männer.
Internierte und Bewacher auf der Isle of Wight.

Tate, TGA 20052/2, Major H. O. Daniel, Creative Commons CC BY-NC-ND 4.0 DEED

Andere Gemäldebestände kann Max Stern aus Deutschland ausführen und nach London bringen, wo er mit seiner Schwester Hedwig und seiner Mutter Selma eine neue Galerie aufbaut, die West’s Galleries.

 

Als die deutsche Luftwaffe 1940 beginnt, britische Städte anzugreifen, wird Stern, wie viele andere deutsche und österreichische Staatsangehörige, von Scotland Yard als „feindlicher Ausländer“ interniert. Auf der Isle of Man, vor der Westküste Englands in der Irischen See gelegen. Nach einigen Monaten meldet sich Stern freiwillig, um nach Kanada verlegt zu werden. In einem Lager in der Provinz New Brunswick fällt er Bäume. In seiner Freizeit hält er Vorträge über Kunstgeschichte für seine Mit-Internierten.

 

Neuanfang in Kanada

Farbfotografie. Fünfstöckiges Warenhaus mit großen Rundbogenfenstern.
Die Firma Birks gibt es bis heute. Hier das Stammhaus am Square Philips in Montreal.

Jeangagnon, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons

Zum Glück gibt es vor Ort engagierte Menschen, die sich für geflüchtete und internierte Europäer:innen einsetzen. William Birks gehört dazu, der aus einer Familie von Juwelieren stammt, die schon lange in Montreal erfolgreich tätig sind. Birks, bekennender Methodist, kritisiert die restriktive und anti-semitische Einwanderungspolitik Kanadas. Beeindruckt von Sterns Wissen und Energie übernimmt er eine Bürgschaft für ihn. So darf Max Stern 1941 das Internierungslager verlassen und nach Montreal ziehen.

Gemälde. Große Figur aus Holz, die eine kleinere Figur auf dem Arm trägt.
Emily Carr: Totem Mother, 1928.

Public domain, via Wikimedia Commons

Dort entdeckt er eine Marktlücke: Die Galerien verkaufen hauptsächlich europäische Kunstwerke des 19. Jahrhunderts, Landschaften und Genregemälde. Aber niemand vertritt die zeitgenössische kanadische Kunst. Bis Max Stern kommt. In kürzester Zeit organisiert er Ausstellungen und verhilft so manchen kanadischen Künstler:innen zu Bekanntheit und Karriere, so der Künstlerin Emily Carr und Mitgliedern der Group of Seven. Noch bevor der Krieg vorbei ist, hat er mehrere Ausstellungen kuratiert. Zwei Umstände kommen ihm zugute: Aufgrund des Krieges gibt es Restriktionen, größere Geldsummen ins Ausland zu übertragen. Also kaufen Kanadier:innen lieber im eigenen Land. Und zur selben Zeit entsteht auch von Seite der Kunstgeschichte ein bisher ungekanntes Interesse an der kanadischen Kunst.

William Birks wirkt noch ein weiteres Mal segensreich in Sterns Leben: Er stellt ihm eine schwedische Immigrantin vor, Iris Westerberg. Die beiden werden ein Paar und heiraten 1946. Mit den finanziellen Mitteln, die Iris mit in die Ehe bringt, und dem Teil der Bestände, die Max Stern 1947 im Rahmen der Rückerstattung zurückerlangt, erwerben die Sterns die Galerie Dominion. Max und Iris Stern fördern nicht nur die zeitgenössische kanadische Kunst, sondern zeigen auch viele Ausstellungen von Künstlerinnen. Mit Weitsicht verbreitern die Sterns das Angebot ihres Kunsthandels, verkaufen in den 1950er Jahren auch europäische Skulpturen, so von Henry Moore und Auguste Rodin, und der erste Kandinsky, den das Museum of Modern Art in New York erwirbt, kommt auch aus der Galerie Dominion.

Drei Universitäten erben

Farbfotografie. Stattliches Gebäude mit Turm.
McGill University Montreal, Arts Building.

Public domain, via Wikimedia commons CC BY-SA 3.0

Stern stirbt 1987 in Paris im Alter von 83 Jahren. Er ist Witwer, die Ehe ist kinderlos geblieben. So setzt er drei Universitäten als seine Erben ein: die McGill-Universität in Montreal, für die sich schon sein Wohltäter William Birks engagiert hatte, die Concordia-Universität, ebenfalls in Montreal, und die Hebräische Universität Jerusalem.

Im Jahr 2005 gründen diese Universitäten das Max Stern Art Restitution Project. Ihr Anliegen ist es, den Kunstbesitz, der Max Stern aufgrund der Verfolgung durch das NS-Regime entzogen wurde, zu rekonstruieren, aufzufinden und zurückzufordern. Das Max Stern Art Restitution Project geht dabei von ca. 400 Werken aus. Bis jetzt konnten 250 Kunstwerke, die sich einst im Besitz von Stern befanden, identifiziert werden.

Gemälde. Uniformierte mit Pferden auf Landstraße.
Hans von Marees: Ulanen auf dem Marsch (1859).

Bayerische Staatsgemäldesammlungen

2015 wendet sich das Holocaust Claims Processing Office (HCPO) im Namen der Rechtsnachfolger:innen an die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Sie meldet Ansprüche an auf das Gemälde von Hans von Marées, „Ulanen auf dem Marsch“. Dieses Gemälde wurde 1986 in einem Münchener Auktionshaus für die Staatsgemäldesammlungen erworben und war vorher im Privatbesitz gewesen.

Da sich verschiedene Lücken in der Provenienz nicht zweifelsfrei schließen lassen, einigen sich die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen mit dem HCPO darauf, gemeinsam die Beratende Kommission anzurufen. Diese empfiehlt eine Restitution, die 2022 erfolgt.

Weitere Links

Max Stern Art Restitution Project

Pressemitteilung – Bayerische Staatsgemäldesammlungen

Une voix féminine dans l’espace public. La Galerie Dominion, 1941-1956